Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
so eng, dass sie nun hintereinander gehen mussten. Haul ließ Lisandra den Vortritt.
„Eure größte Schwäche ist also, dass ihr auf Zauberer angewiesen seid, damit ihr am Leben bleibt?“
„Ja. Wenn sie uns nicht beschwören, verschwinden wir langsam und qualvoll.“
„Wie schrecklich!“
„Es ist wirklich schrecklich, wenn ein Gespenst in Fortinbracks Schneewüsten verloren geht und nicht rechtzeitig gefunden werden kann. Irgendwann ist es so blass, verwirrt und beschädigt, dass man es nicht mehr retten könnte, selbst wenn man es noch einmal beschwört. Aber wir halten länger durch als ihr. Ein Mensch würde nach ein paar Tagen verhungern oder erfrieren. Und das ist auch kein angenehmer Tod.“
Lisandra versuchte sich das vorzustellen. Nicht das Verhungern, sondern wie es sich leben ließ, wenn man regelmäßig von einem menschlichen Zauberer beschworen werden musste.
„Das meint Berry also damit, dass ihr wie Sklaven gehalten werdet. Ihr seid auf die Zauberer von Fortinbrack angewiesen und müsst tun, was sie euch sagen.“
„Es ist nicht die Absicht der Zauberer, uns zu unterdrücken. Wir sind auf sie angewiesen, aber wir arbeiten zusammen. Wir sind ihnen ja auch dankbar, dass sie uns zurückgeholt haben.“
„Wirklich? Scarlett sagt, es gibt traurige und unglückliche Gespenster, die leiden und lieber tot wären.“
„Es gibt alles Mögliche. Es gibt auch unglückliche Menschen, denen das Leben keinen Spaß macht .“
Lisandra drehte sich kurz zu Haul um. Es war komisch, die ganze Zeit mit jemandem zu reden, der einem auf den Rücken starrte und dessen Gesicht man nicht sehen konnte. Vor allem, wenn dieser Jemand Haul war. Ein großer, gut aussehender Junge mit silbernen Augen und schwarzen Flammen-Pupillen, an deren Größe und Flackern man so einiges ablesen konnte. Hauls Gesicht verriet Lisandra, dass sowohl Berry als auch Scarlett keine völlig abwegigen Behauptungen aufgestellt hatten. Das mit der Sklaverei und dem Unglück schien eine Sichtweise zu sein, die Haul zwar nicht teilte, die aber durchaus ihre Berechtigung hatte. Oder hätte er sonst so traurig und ernst ausgesehen?
„Wie oft musst du beschworen werden?“, fragte Lisandra, die ihren Blick jetzt wieder nach vorne richtete, auf das weite Weiß und den schwarzen Streifen Wald in der Ferne.
„Damit es mir richtig gut geht, alle zwei bis drei Monate. Aber ich würde auch vier bis fünf Monate durchhalten.“
„Verrückt. Wenn dich alle Zauberer Fortinbracks im Stich lassen, stirbst du also, ob du willst oder nicht?“
„Wenn mich Hanns im Stich lässt, sterbe ich“, sagte Haul leise und das war bestimmt das Ehrlichste, was er Lisandra jemals verraten hatte. „Ich wurde von Grindgürtel beschworen und war eines der besten Gespenster, die er jemals geschaffen hat. Ich bin sehr lebensecht. Dir fehlt der Vergleich, weil du keine anderen Gespenster kennst. Ich wirke fast wie ein echter Mensch. Ich funktioniere auch so. Ich esse, ich schlafe, ich träume. Das ist nicht bei allen Gespenstern so. Grindgürtel war ein Spezialist, doch selbst ihm sind nicht alle Gespenster so gut gelungen. Es gibt auch nur eine begrenzte Anzahl von uns Super-Gespenstern.“
Er lachte und Lisandra drehte sich nach ihm um.
„So nennen wir uns zum Spaß“, sagte er entschuldigend. „Super-Gespenster, weil so viel Zauberei in uns reingesteckt wurde.“
„Oh, ein Super-Gespenst! Ich bin beeindruckt!“
„Ein Super-Gespenst hat zwei Seiten. Es ist super und es braucht Super-Zauberer, um am Leben zu bleiben. Wir haben alle gezittert, als wir erfahren haben, dass Grindgürtel tot ist. Du verstehst, warum!“
„Ja“, sagte Lisandra, einen Schritt vor den anderen setzend, den Blick auf den Horizont gerichtet. „Ihr hattet Angst, dass euch niemand mehr beschwören kann.“
„Es ist nicht nur eine Frage des Könnens, sondern auch der Kraft. Jede Beschwörung ist anstrengend. Deswegen gibt es auch nicht viele von uns. Grindgürtel konnte es sich nicht leisten, seine ganze Kraft auf Gespenster wie uns zu verschwenden. Hanns ist jetzt der Einzige, der das Wissen, das Können und die Kraft besitzt, ein Super-Gespenst am Leben zu halten. Das Schlimme war nur …“
Haul brach ab und Lisandra bekam unvermittelt eine Gänsehaut. Sie ahnte, was nun kam.
„Er hatte keine Kraft für alle?“
„Ja, leider. Das war wirklich furchtbar. Hanns hätte nicht lange durchgehalten, wenn er uns alle regelmäßig beschwören hätte. Er musste eine Auswahl
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