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Mondscheingeflüster

Titel: Mondscheingeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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dem Brot abschneiden konnte. Das Messer brach schließlich sogar in zwei Stücke. Entnervt schleuderte es Ted in eine Ecke, bohrte sich nun einfach mit dem Finger das Brot heraus, bröckelte Käse ab und steckte alles zusammen in den Mund. In der Stille kam ihm das Geräusch seiner kauenden Zähne laut vor, immer wieder hielt er inne und lauschte. Aber nichts war zu hören, keine Schritte, keine Stimmen. Die Frage war, ob er es riskieren durfte zu schlafen. Er entschied sich dagegen, wusste aber, dass er sich dann auch nicht hinlegen durfte. So blieb er zusammengekauert auf dem Bett sitzen, verkroch sich noch tiefer in seine Decken, gönnte sich jede Stunde einen Schluck Kaffee, starrte vor sich hin. Es war beinahe drei Uhr in der Nacht, als urplötzlich das Licht verlosch. Ganz zu Beginn seiner Gefangenschaft hatte Ted schon befürchtet, der Wackelkontakt werde es nicht mehr lange machen, aber er hatte es dann vergessen. Panisch sprang er auf, tastete mit den Händen zur Decke, fand die Glühbirne auch schließlich, schraubte daran in der schwachen Hoffnung, sie habe sich vielleicht nur gelockert und werde, wenn man sie festdrehte, wieder strahlen, aber natürlich tat sich nichts. Alles blieb finster. Und zwar so finster, wie Ted es noch nie erlebt hatte - viel dunkler als in Räumen, in denen es ein Fenster gibt, durch das selbst in der tiefsten Nacht ein wenig Helligkeit dringt. Hier, in diesem von Mauern umgebenen Kellerverlies, war es schwarz wie in einem Grab. Ted musste alle Selbstbeherrschung aufwenden, um nicht die Nerven zu verlieren.
    Im Grunde hat sich nichts geändert, sagte er sich selbst, die Birne leuchtet nicht mehr, aber das ist auch alles. Das hat meine Chancen, hier unten gefunden zu werden, überhaupt nicht verringert.
    Aber er wusste, es hatte sich doch etwas geändert. Helligkeit tröstet. Indem er nichts mehr sehen konnte, war er seiner Verzweiflung unmittelbar und heftiger ausgeliefert als vorher.
    Wenigstens hatte seine Uhr ein Leuchtzifferblatt, und er konnte verfolgen, wie spät es war. Er erinnerte sich an Bücher über Schiffbrüchige, die Striche in die Rinde eines Baumes ritzten, um den Überblick über den Ablauf der Tage und Stunden zu behalten. Jetzt auf einmal verstand er sie. Abgeschnitten von der Welt, war Zeit das Einzige, das ihn mit ihr verband. Solange ich weiß, dass heute Donnerstag ist, bin ich noch nicht verloren.
    Er lag zusammengekauert auf dem Bett und betrachtete die grün schimmernden Zeiger seiner Uhr. Die kleinen glühenden Pünktchen rundum markierten die Zahlen. Drei Uhr. Vier Uhr. Fünf Uhr. Sechs Uhr. Bald würde ein neuer Tag anbrechen. Um sieben Uhr gönnte sich Ted ein Frühstück, was länger dauerte als gewöhnlich, weil er sich alles mühsam zusammensuchen musste. Er rutschte auf den Knien herum und tastete nach Brot und Käse. Dabei warf er eine der Thermosflaschen mit Kaffee um, aber glücklicherweise hatte er sie fest genug zugeschraubt, sodass nichts verloren ging. Er aß und trank, dann zog er sich wieder auf sein Bett zurück, lag zusammengekrümmt, weil die Kälte schlimmer wurde. Er hatte das Gefühl, dass ihn zusammen mit dem Licht ein paar weitere Lebensgeister verlassen hatten.
 
    Ein paar Kilometer südlich von New York hielt an diesem nebligen Dezembermorgen ein Lastwagen am Straßenrand direkt neben einer jungen Frau, die dort frierend an der Böschung stand und den Daumen ausgestreckt hatte. Der Fahrer öffnete die Tür und beugte sich über den Beifahrersitz. »Morgen. Bisschen kalt zum Trampen, finden Sie nicht? Wohin wollen Sie denn?«
    »Nach Manhattan. East Village.«
    »Ich fahre nach Brooklyn. Wenn Ihnen das was nützt, nehme ich Sie bis dorthin mit.«
    »Ja, natürlich. Das wäre toll. Vielen Dank.«
    Die junge Frau kletterte in den Wagen.
    »Anschnallen«, brummte der Fahrer. Er betrachtete seinen Gast von der Seite. Hübsches Mädchen, müsste sich nur ein bisschen zurechtmachen, Haare kämmen und etwas Anständiges anziehen. Außerdem war sie natürlich schrecklich verfroren, hatte eine rote Nase und bläulich verfärbte Lippen. Und sie war so dünn! Warum nur aßen diese jungen Dinger heute nicht mehr anständig, ließen sich abmagern bis auf die Knochen und fanden das auch noch schön! Seiner Ansicht nach grenzte das an Geschmacksverirrung.
    »Arbeiten Sie in New York?«, erkundigte er sich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Besuchen Sie jemanden da?«
    »So ähnlich.«
    »Aber Sie stammen nicht von

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