Mondscheingeflüster
sie«, sagte Morton. »Bisher gibt es Personenbeschreibungen nur von dem Portier, und die sind äußerst vage. Mike und Kathrin haben die Leute ja nur bei Nacht gesehen, zudem eingemummelt in Schals und Mützen. Wir haben nichts Brauchbares in der Hand. Aber Ted kann uns vielleicht erstklassige Beschreibungen von ihnen geben. Sie nehmen ihn mit und lassen ihn irgendwo in der Wildnis frei, er braucht Stunden, am Ende sogar ein oder zwei Tage, bis er auf Menschen trifft und telefonieren kann. Das ist alles möglich.«
»Ihre Theorie, Sergeant, beinhaltet leider eine weitere furchtbare Möglichkeit«, sagte Bob leise. »Sie wissen genauso gut wie ich, was Verbrecher mit ihren Opfern tun, wenn die eine Gefahr für sie darstellen.«
»Das tun aber nicht alle«, antwortete Morton etwas hilflos. Natürlich hatte er an diese Möglichkeit auch schon gedacht, sie jedoch bisher nicht angesprochen. Innerlich fluchte er. Verdammte Bande! Diese Sache war sein Fall. Wenn etwas schiefging, wenn Ted tot aufgefunden würde, müsste er sich ebenfalls verantworten. Hätte er doch bei der Geldübergabe auf der Brücke zuschlagen sollen? Aber wenn Ted dann etwas zugestoßen wäre, hätte jeder gesagt, das sei seine Schuld. In jedem Fall würde man versuchen, ihm irgendeinen Fehler anzuhängen.
Kathrin saß zusammengekauert in einem Sessel und musste immer wieder zu Mike hinsehen. Er tat ihr so unendlich leid. Am Vormittag war er im Hotel aufgetaucht, nachdem er kurz davor von Peggys Tod erfahren hatte. Er war ganz grau im Gesicht, sah müde und eingefallen aus, viel älter als noch am Tag zuvor. Kathrin hatte den Eindruck, er bewege sich schwerfälliger als sonst und versinke ständig in grüblerische Gedanken.
»Peggy ist tot«, hatte er gesagt, und Kathrin hatte geantwortet: »Ich weiß, ich habe es schon letzte Nacht erfahren. Es tut mir so leid, Mike. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas für dich tun.«
»Danke, Kathrin. Aber du kannst Peggy nicht lebendig machen, nicht? Niemand kann das. Sie wird nicht zurückkehren zu mir.«
In seiner Stimme klang so viel Hoffnungslosigkeit, dass es Kathrin das Herz zusammenschnürte. Sie hatte selten im Leben wirklich mit jemandem gelitten. Zumeist vollkommen auf sich konzentriert, war sie stets nur um ihre eigenen Probleme und Kümmernisse gekreist und hatte es kaum bemerkt, wenn sich jemand in ihrer Umgebung grämte. Zum ersten Mal jetzt tat ihr der Kummer eines anderen Menschen so weh, als sei es ihr eigener. Wie gern hätte sie Mike mit irgendetwas getröstet, hätte ihm gesagt: »Du wirst darüber hinwegkommen!«, oder: »Es gibt noch andere Pferde, gute, liebe, treue Pferde, und du wirst dich an eines von ihnen gewöhnen!« Aber all dies kam ihr banal vor, und es war ebenfalls eine neue Erfahrung für sie, dass sie überlegte, anstatt einfach loszuplappern, dass sie Worte verschluckte aus Rücksicht auf einen anderen. Sie hatte begriffen, dass es nicht allein um Peggy ging, sondern um alle Enttäuschungen in Mikes Leben, um alles, was er verloren hatte, jemals. Es ging um die Einsamkeit, in der er lebte. Sie konnte ihm nicht helfen. Es war eine Einsamkeit, die nie aufhören würde, die zu Mikes Leben gehörte und nicht daraus zu verbannen war.
»Hat eigentlich die Untersuchung in dem Haus, vor dessen Tür der Erpresserbrief gefunden wurde, etwas ergeben?«, fragte Bob.
Mike antwortete ihm, aber er tat es ohne jegliche Emotion, er wirkte wie eine Puppe, die spricht, weil sie sprechen muss.
»Es hat sich etwas ergeben, aber leider nützt es nichts. Es wohnt eine Frau in dem Haus, Mrs. Alice Badcock, deren Sohn Patrick in Zusammenhang mit der Geschichte stehen könnte. Er hat sich seit Jahren nicht mehr blicken lassen, angeblich, aber das sagte sie so hastig, dass es durchaus sein könnte, er kommt noch hin und wieder vorbei. Sie erschrak, als die Beamten auftauchten, und fragte sofort, ob etwas mit Patrick sei, ob er etwas angestellt habe, das heißt, sie rechnet bei ihm mit solchen Geschichten. Er sei mit ›schlechten Leuten‹ zusammen, sagte sie, und im Grunde sei er ein guter Junge. Na ja, das sagen Mütter immer. Auf jeden Fall konnte sie über seinen Aufenthaltsort keine Angaben machen, oder sie wollte es nicht. Wir haben jemanden abgestellt, der das Haus beobachtet, außerdem wird Mrs. Badcocks Telefon überwacht. Mehr können wir in diesem Fall nicht tun.«
Bob nickte langsam. »Ja. Das ist es eben. Wir können so wenig tun. So wahnsinnig wenig. Wir können nur warten. Es
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