Mondscheingeflüster
dort?«
»Nein.«
Ganz schön einsilbig, die Kleine. Der Fahrer begann sich zu ärgern, dass er sie mitgenommen hatte. Er fuhr weite Strecken, war viel allein und lud gerne jemanden ein, einfach um ein bisschen Unterhaltung zu haben, aber wenn einer dann stumm war wie ein Fisch, fühlte er sich irgendwie an der Nase herumgeführt.
»Wie heißen Sie denn?«
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu.
Lieber Gott, die hatte doch hoffentlich nicht irgendetwas auf dem Kerbholz? Angst vor der Polizei? In so etwas wollte er gar nicht gern hineingezogen werden.
»Lucy«, sagte sie jetzt leise. »Ich heiße Lucy.«
»So, Lucy. Hübscher Name. Hatte mal eine Freundin drüben an der Westküste, die hieß auch Lucy. War ein nettes Mädchen. Und sah verdammt gut aus. Lange, blonde Haare. Eigentlich steh ich sonst nicht so auf blond. Aber die Lucy, die war schon eine ganz besondere Nummer ...«
Er redete und redete, und jetzt störte es ihn nicht mehr, dass Lucy II nichts sagte. War auch einmal ganz schön, wenn einem einer einfach zuhörte.
Am späten Vormittag, gegen halb elf etwa, glaubte Ted draußen Schritte zu hören. Sofort schrie er, so laut er nur konnte. »Hilfe! Hilfe! Hier bin ich! Lasst mich raus! Lasst mich doch raus!«
Er tastete sich mit vorgestreckten Armen zur Tür, fiel dabei über etwas am Boden, schlug mit dem rechten Schienbein auf und brüllte vor Schmerz.
Er rappelte sich wieder auf, erreichte die Tür, hämmerte wieder dagegen, obwohl ihm seine Hände noch vom Vortag wehtaten.
»Auf-ma-chen!«
Nichts rührte sich. Ted schlug gegen die Tür, bis ihn die Kraft verließ, dann rutschte er langsam zu Boden, blieb völlig erledigt dort liegen. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Vor Angst, aber auch vor Schmerz. Sein Bein tat höllisch weh, als er danach tastete, spürte er, dass es blutete. Er fragte sich, wie lange er es in dieser Finsternis aushalten könnte, ehe er den Verstand verlöre. Er hatte Berichte gelesen über Menschen, die man in dunkle Zellen gesperrt hatte und die nach einigen Tagen durchgedreht waren. Jetzt konnte er absolut verstehen, dass einem das passierte.
Eingefangen in seiner Angst und in seinem Schmerz, hatte er zum ersten Mal seit achtzehn Stunden nicht mehr nach draußen gelauscht. Als sich auf einmal jemand am Schloss der Tür zu schaffen machte, erstarrte er daher und glaubte an eine Sinnestäuschung. Er gab keinen Laut von sich. Die Tür öffnete sich, und da er dagegen gelehnt gesessen hatte, fiel er förmlich hinaus aus seinem Verlies. Helles Licht umgab ihn. Er lag auf dem Boden, und neben ihm kauerte Lucy.
»Ted! Ted, ist alles in Ordnung? Ted, sag doch etwas!«
Vorsichtig setzte sich Ted auf. Das plötzliche Licht tat seinen Augen weh. Er blinzelte verwirrt.
»Lucy? Was tust du hier?«
»Ich konnte dich nicht im Stich lassen, Ted. Es ging einfach nicht. Mein Gott, du blutest ja!«
Ted folgte ihrem entsetzten Blick und sah, dass das untere Drittel seines rechten Hosenbeines durchweicht war vom Blut. Es sah schlimmer aus, als es war.
»Ich bin gefallen. Ich konnte nichts sehen. Das Licht ging plötzlich aus, und ich habe ... ach, ich glaube, ich bin ein bisschen durchgedreht.«
»Jetzt kann dir nichts mehr passieren.« Lucy kramte ein Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche, schob ganz vorsichtig Teds Hosenbein in die Höhe. Er stöhnte leise.
»Schon gut«, sagte Lucy, »ich bin ganz vorsichtig. Hier, drück das Taschentuch auf die Wunde. Das blutet ja wie verrückt.«
»Wir müssen weg«, sagte Ted. »Wenn deine Freunde auftauchen ...«
»Die tauchen mit Sicherheit nicht auf. Die sind schon weit weg. Ich habe mich heute früh heimlich aus dem Staub gemacht, als alle noch schliefen. Wir sind in einem wahnsinnig vornehmen Hotel abgestiegen, jeder hat eine eigene Suite bekommen. Die werfen mit dem Geld um sich, das gibt es gar nicht. Wenn die so weitermachen, haben sie die hunderttausend Dollar in Windeseile wieder verloren.«
»Hunderttausend Dollar?«
»Haben deine Eltern bezahlt. Du siehst, du bist ihnen etwas wert.«
»Meine Eltern machen sich bestimmt schreckliche Sorgen. Ich muss sie sofort anrufen.«
»Okay. Draußen auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist eine Telefonzelle. Von hier aus kann man nicht mehr telefonieren. Sie haben die Schnur zerschnitten.«
Lucy blickte besorgt auf das Taschentuch, das sich ganz rot verfärbt hatte. »Wir sollten vielleicht erst einmal einen richtigen Verband machen.«
»Nein, das hat Zeit. Erst muss ich
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