Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mondscheintarif

Mondscheintarif

Titel: Mondscheintarif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
Vom Netzwerk:
lassen – das heißt, ich hoffte, dass er in dieser Zeit zappeln würde   –, ehe ich ihn zurückrief. Den Zeitpunkt meines Anrufes hatte ich strategisch perfekt gewählt: Donnerstag um 20   Uhr 18.
    Die Uhrzeit erweckt, nach meiner Berechnung, folgenden Eindruck:
    1.   Cora Hübsch ist eine an Weltgeschehen und Politik interessierte Frau. Die Tagesaktualität ist ihr Steckenpferd. Sie hält sich auf dem Laufenden und hat sicherlich interessante Ansichten über den Euro und seine Auswirkungen auf das Gefüge der europäischen Staatengemeinschaft.
    Nichts kann Cora Hübsch davon abhalten, um 20   Uhr die ‹Tagesschau› zu sehen. Wahrscheinlich geht sie zwischen 20 und 20   Uhr 15 nicht ans Telefon.
    2.   Cora Hübsch hat kein Interesse an seichter Ablenkung und oberflächlicher Unterhaltung. Sie verbringt ihre Abende, wenn sie denn mal zu Hause ist, mit dem intensiven Studium anspruchsvoller Literatur.
    ‹In the Line of Fire› mit Clint Eastwood, ‹Sylvia   – Eine Klasse für sich› mit Uschi Glas, ‹Meine Tochter ist der Sohn meiner toten Mutter› auf SAT1 – banale T V-Spektakel ohne Cora Hübsch. Wahrscheinlich hat sie nicht einmal eine Programmzeitschrift.
    3.   Cora Hübsch ist eine souveräne Frau. Sie ruft an einem Donnerstag an. Andere Frauen würden fürchten,dass das so aussehen würde, als hätten sie am Wochenende noch nichts vor. Cora Hübsch hat höchstwahrscheinlich am Wochenende sehr viel vor. Und wenn nicht, ist es einer selbstbewussten Frau wie ihr egal.
    Um 20   Uhr 18 war ich bestens vorbereitet. Natürlich hatte ich auch an eine angemessene Hintergrundbeschallung gedacht. Jo hatte die neue CD von Van Morrison vorgeschlagen. Fast alle Männer lieben Van Morrison. «Er singt, wie wir fühlen», hatte mal ein Ex-Freund von Jo erklärt. «Ach was», hatte sie daraufhin ehrlich überrascht geantwortet, «ich dachte, Van Morrison macht anspruchsvolle Musik?»
    Ich hatte mich gegen Van Morrison und für den Deutschlandfunk entschieden. Ich musste schließlich nicht nur einen Akademiker beeindrucken, sondern gleichzeitig eine rothaarige Schlampe aus dem Feld stechen. Ute Koszlowski mochte schön sein. Sie mochte Kleidergröße 38 tragen. Mochte sie doch bei RTL so viele Oberschwestern spielen, wie sie wollte!
    Ich würde Dr. med. Daniel Hofmann durch meine Intellektualität gewinnen.
     
    20   Uhr 18.   Im Deutschlandfunk lief gerade ein Wortbeitrag zum Thema ‹Die Dichtung Heinrich Heines›.
    Meine Zeit war gekommen.
    «Hofmann?»
    «Hallo? Hier ist Cora Hübsch.»
    «Wie hübsch.»
    Ach nee. Also wirklich. Den Scherz hatte ich in meinem Leben ein paarmal zu oft gehört.
    «Den Scherz habe ich in meinem Leben schon ziemlich oft gehört», sagte ich. Cool.
    «Nun ja. Bietet sich an. Hören Sie die Musik da bei Ihnen freiwillig?»
    Was? Wie? Verdammter Mist. Wer kann denn ahnen, dass die beim Deutschlandfunk ihre anspruchsvollen Sendungen mit Gesangseinlagen von kurdischen Freiheitskämpfern unterbrechen?
    «Oh! Nein. Das ist Radio. Ich mach mal leiser. Wie geht es Ihnen? Was machen Sie gerade?» Das hatte ich mir vorher überlegt.
    Interessiert. Persönlich. Locker.
    «Ich schaue gerade ‹In the Line of Fire›. Guter Film. Mit Clint Eastwood. Kennen Sie den?»
    Ups.
    «Nein. Ich schaue eigentlich selten Fernsehen.»
    Überlegen. Intellektuell. Lässig.
    «Ach? Ich liebe Fernsehen. Ich esse sogar vorm Fernseher.»
    Ups. Genau wie ich, aber jetzt nicht vom Kurs abbringen lassen.
    «Das ist ungesund. Man soll immer nur eine Sache tun und sich völlig darauf konzentrieren. Face your food – diese Regel habe ich von einem indischen Weisen gelernt.»
    Gebildet. Überlegen. Weise. International.
    «Ich weiß. Das letzte Mal, als ich mich aufs Essen konzentrieren wollte, wurde ich über den Haufen gerannt.»
    Was sollte ich dazu sagen? Lieber Gott! Bis vor drei Minuten war ich eine für ihre Schlagfertigkeit anerkannte Frau gewesen! Wo war mein Temperament geblieben?Wo meine Phantasie? Wo mein deutscher Wortschatz?
    «Ich weiß und möchte das wiedergutmachen. Darf ich Sie zu einem Essen einladen? Mit dem Versprechen, dass Sie den Abend unverletzt hinter sich bringen werden?»
    Ahh! Das war gut. Humorvoll. Selbstironisch.
    «Gern. Wann haben Sie Zeit?»
    Das war nun der entscheidende Augenblick. Wann hatte ich Zeit? Darüber hatte ich mir selbstverständlich bereits Gedanken gemacht. Heute war Donnerstag. Das Wochenende war natürlich tabu. Ich würde ihm den kommenden Mittwoch

Weitere Kostenlose Bücher