Mondschwingen (German Edition)
bist? Nur, weil du dich an Kastja rächen willst.“
Gwaedja stand ihm gegenüber und sah würdevoll und mutig aus, obwohl sie es
eigentlich schon lange nicht mehr war.
Thijs kam ganz plötzlich
herangeschossen. Er zog Gwaeja so fest am Handgelenk zu sich, dass sie gegen
die Gitterstäbe gedrückt wurde. „Wie willst du wissen, dass ich mich verändert
habe, wenn du mich doch gar nicht kennst? Weißt du etwas von mir, kennst du
mich und mein Leben? Ich glaube nein.“ Er ließ sie los und kramte die
klirrenden Zellenschlüssel hervor. Einen kleinen, rostigen schob er ins
Schloss, das sich krachend öffnete. Wie von Geisterhand glitten die Stäbe zur
Seite - es sah so einfach aus, so ungeheuer leicht. Gwaedja wich weiter nach
hinten, sie fasste nach links und rechts und hielt sich an den Gitterstreben
fest.
Sie sah schön aus, wie
eine gemeißelte Statue, ein Bildnis des Widerstandes, eine Trauerfigur, nichts
weiter als eine Geschichte, ein Märchen in Stein.
„Ich will nicht, lasst mich leben, nur leben“,
schrie Gwaedja, als die zwei Weißen sie von den Gitterstäben fortziehen
wollten. Sie rührte sich nicht, sie stand mit ausgebreiteten Armen da und hielt
sich so fest an den Streben, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie trat um
sich, als die Weißen sie wegzerren wollte, sie weinte und schrie. Dann sank zu
Boden und blieb reglos liegen, als wäre sie schon jetzt gestorben. Die Männer
zogen sie herauf, jeder nahm einen Arm und gemeinsam trugen sie Gwaedja aus der
Zelle.
Thijs wandte sich um,
als Amber sich erhob, mit Svijas langem Schwert in den Händen.
„Geht noch nicht. Sonst
stirbt nicht nur Gwaedja.“ Sie drehte die Klinge zu sich herum, langsam kam sie
näher und als sie im Licht einer Fackel stand, sah man ihren blutüberströmten
Mantel. Er war kaum mehr weiß, überall war es rot, Blut tropfte vom Saum.
Gwaedja stöhnte und bewegte sich langsam, doch sie wurde fortgerissen und
ächzte nun vor Schmerzen.
„Woher hast du das
Schwert?“, blaffte Thijs und erbleichte augenblicklich. Er drehte sich um die
eigene Achse, seine Augen suchten die Kerkerzellen ab, sein Blick huschte auch
über Svija hinweg und einen Moment lang, einen schrecklichen, atemlosen Moment
glaubte sie, er hätte sie entdeckt. Doch dann drehte er sich schon um und kam
nah an Amber heran.
„Gib es her, du musst
nicht sterben.“ Er klang tatsächlich ein wenig besorgt, als läge ihm etwas an
seiner Schwester.
„Ich will hier raus. Sofort.“
Sie starrte Thijs böse an. Verachtung lag in ihrem Blick und Furcht, wenn man
genau genug hinsah. „Wenn du die Zelle nicht aufmachst, ramm ich mir das
Schwert ins Herz, ich schwöre es.“
„Das tust du nicht“,
brüllte Gwaedja und schaute mit nassem Gesicht auf. „Was hab ich denn davon,
wenn ich sterbe und dabei weiß, dass meine Tochter, meine einzige, tot in einer
Zelle liegt. Ist mein Tod denn nicht schon schrecklich genug?“
Das Schwert in Ambers
Händen wackelte. „Selbst wenn ich es nicht täte, würde ich verbluten. Schaut
mich nur an, ja, schau mich an, Thijs, sieh deiner Schwester beim Sterben zu.
Wenn du mich nicht herauslässt, dann werde ich sterben, so oder so. Ich brauche
einen Verband und eine Wundsalbe. Und Freiheit. Ich will endlich wieder atmen.“
Thijs sah auf die
Schlüssel zwischen seinen blassen Fingern herab. „Du willst sie retten, nicht
wahr?“
„Und wenn schon“,
erwiderte Amber sofort. „Was kann ich schon ausrichten? Ich bin doch nur ein
Mädchen und eines, das sich fürchtet. Vor ihrem großen Bruder.“
Thijs lachte. Amber sah
ihn nur erbeben, seine mächtige Rüstung klapperte und knirschte. „Wie absurd
das Leben ist. Manchmal möchte ich nur lachen.“ Sein Lachen hörte abrupt auf,
als er die Schlüssel hob und im Fackellicht betrachtete. „Versprich mir, dass
du ihr nicht helfen wirst. Versprich es mir.“
Der Schlüssel steckte
schon im Schloss, nur ein Mal musste er umgedreht werden, ein einziges Mal. Es
klackte und die Tür schwang auf. „Das kann ich nicht. Ich kann es dir nicht
versprechen.“ Amber stürzte an ihm vorbei und rannte die Treppen empor, während
Thijs nur da stand und ihr hinterher blickte.
„Es ist Zeit. Wir müssen
gehen.“ Thijs lief schweigend voraus und die zwei Jäger hinter ihm schleppten
schnaufend Gwaedja hinterher, die leblos in ihren Armen hing.
Lange regte sich Svija
nicht, hielt nur den Atem an und wartete, lauschte den Schritten im Kerkergang
und den wispernden Stimmen. Sie
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