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MondSilberTraum (MondLichtSaga) (German Edition)

MondSilberTraum (MondLichtSaga) (German Edition)

Titel: MondSilberTraum (MondLichtSaga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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fünf Minuten verliert es seine Wirksamkeit.«
    Fassungslos sah Dr. Erickson sie an. »Was ist es diesmal?«
    »Unsere Heiler haben es neu entwickelt und sie sind fest überzeugt, dass es hilft«, antwortete Raven ungeduldig.
    »Die letzten vier Male waren sie auch sicher«, erwiderte er stur.
    Mir stockte der Atem. Ich hatte nicht gewusst, dass es schon vier Versuche gegeben hatte.
    »Beim letzten Mal hat sie sich tagelang erbrochen«, setzte er störrisch hinzu. »Ich dachte, sie stirbt mir unter den Händen weg.«
    »Wollen Sie es ihr jetzt geben oder muss ich es tun?« Ravens Stimme klang wie klirrendes Eis. »Sie haben noch zwei Minuten.«
    Dr. Erickson ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Kraftlos lagen seine Hände in seinem Schoss. »Ich kann das nicht mehr. Ich habe die Hoffnung verloren und nun sind wir auch noch hier unten gelandet.« Seine Hand beschrieb einen Kreis.
    »Dann werde ich es ihr geben, Dr. Erickson«, schaltete ich mich ein. »Schlimmer kann es nicht mehr werden. Das hier hätte Sophie niemals gewollt.«
    Ich deutete sein leichtes Nicken als Zustimmung. Raven reichte mir das winzige Fläschchen.
    Eine Hand schob ich unter Sophies Kopf, mit der anderen hielt ich das Fläschchen an ihre Lippen. Ich hoffte, dass ihr Schluckreflex noch funktionierte. Vermutlich hätten wir das vorher in Erfahrung bringen müssen, doch jetzt blieb dazu keine Zeit. Die silberne Flüssigkeit lief aus der Ampulle und bahnte sich, wie von selbst, einen Weg zwischen Sophies trockene Lippen. Es erinnerte mich an Quecksilber. Als ich klein war, hatte ich einmal ein Fieberthermometer zerbrochen und aus seinem Inneren waren winzige silberne Kugeln herausgeflossen. Fasziniert hatte ich damit gespielt, bis meine Mutter mich erwischt und völlig hysterisch in eine Kinderklinik gebracht hatte. Erst viel später hatte ich erfahren, dass diese hübschen Kugeln giftig waren. Ich hoffte, dass es sich bei dieser Mixtur um etwas Harmloseres handeln würde. Der letzte Tropfen verschwand zwischen Sophies Lippen. Die leere Ampulle reichte ich an Raven zurück.
    Ich musterte Sophie. Ihre Wangen waren eingefallen und ihre Augen lagen in tiefen Höhlen. Nichts erinnerte mehr an die lebenslustige Frau mit der Vorliebe für bunte Farben. Hier gab es nur Weiß.
    Auf dem Gang waren schwere Schritte zu hören. Peter hatte uns gefunden. Er schob den Vorhang zur Seite. Und sah uns neugierig an.
    »Hat sie es schon bekommen?«, fragte er und legte Dr. Erickson zur Begrüßung eine Hand auf die Schulter.
    Ich nickte.
    »Wir müssen warten«, erklärte Raven. »Das Mittel muss sich im Körper ausbreiten.«
    Peter ging zurück auf den Gang und besorgte drei weitere Stühle. Dann warteten wir.
    Dr. Erickson griff nach dem Buch, das er auf der Bettdecke abgelegt hatte, und begann leise zu lesen.
    »› Wo sind die Menschen?‹, fuhr der kleine Prinz endlich fort. ›Man ist ein wenig einsam in der Wüste…‹ «
    Ich lächelte. Der kleine Prinz war Sophies Lieblingsbuch. Schweigend lauschten wir den Worten.
    » ›Man ist auch bei den Menschen einsam‹, sagte die Schlange. Der kleine Prinz sah sie lange an. ›Du bist ein drolliges Tier‹, sagte er schließlich. ›Dünn wie ein Finger…‹ «
    Ich verlor mich in dem Text und erinnerte mich daran, wie Sophie mir ihr ganz persönliches zerlesenes Exemplar feierlich übergeben hatte. Das kleine Büchlein hatte so viele Randnotizen gehabt und es waren so viele Stellen bunt angestrichen, dass ich beim Lesen meine liebe Not gehabt hatte. Aber ich hatte mich seines Zaubers nicht entziehen können.
    » ›Wen ich berühre, den gebe ich der Erde zurück, aus der er hervorgegangen ist‹, sagte sie noch. ›Aber du bist rein, du kommst von einem Stern…‹ «
    Ob Sophie das Buch jemals wieder in ihren Händen halten würde? Ob sie jemals wieder in ihrem Laden stehen würde, um Kindern daraus vorzulesen? Im Moment erschien mir dies unmöglich. Es war meine Schuld. Sie hatte das nicht verdient. Weshalb hatte ich nicht besser aufgepasst?
    » ›Wo sind die Menschen?‹, fragte höflich der kleine Prinz. Die Blume hatte eines Tages eine Karawane vorüberziehen sehen. ›Die Menschen? Es gibt, glaube ich, sechs oder sieben. Ich habe sie vor Jahren gesehen. Aber man weiß nie, wo sie zu finden sind.‹ «
    Dr. Erickson verstummte und räusperte sich. Dann wischte er sich umständlich mit einem Taschentuch über die Stirn.
    » ›Der Wind verweht sie. Es fehlen ihnen die Wurzeln, das ist sehr übel für sie‹ «

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