Mondspiel: Novelle (German Edition)
überschritt. Sie war intelligent, und ihr Verstand war wie ein gieriger Schwamm. Sie teilte seine Liebe zur Musik, zu alten Bauwerken und zur Natur. Sie liebte seine Kinder. Er hatte sie nie angerührt und sich niemals gestattet, sich sexuellen Fantasien über sie hinzugeben, aber jede Kleinigkeit an ihr war ihm aufgefallen und für diese Schwäche hatte er sich verabscheut.
»Provozierst du mich bewusst, um zu sehen, was ich tun werde?« Sie bemühte sich, ihre Stimme nicht verletzt klingen
zu lassen, doch sie fürchtete, es sei ihr im Gesicht anzusehen. Ihm fiel an anderen immer jede Kleinigkeit auf.
»Genau das tue ich«, gab er plötzlich zu. Seine Augen blitzten sie an, und die entspannte, unbeteiligte Art war im Handumdrehen von ihm abgefallen. »Warum zum Teufel bist du mit meinen Kindern so weit gereist, hast sie zu Tode erschreckt und ihr Leben in Gefahr gebracht …« Er hätte sie am liebsten erwürgt. Seine Hände um ihren schmalen Hals geschlungen und sie dafür erwürgt, dass sie sein Leben wieder einmal auf den Kopf stellte. Er konnte es sich nicht leisten, Jessica in seiner Nähe zu haben. Jetzt nicht. Und auch niemals sonst.
»Ich habe ihr Leben nicht in Gefahr gebracht.« Ihre grünen Augen funkelten erbost, als sie den Vorwurf von sich wies.
»Bei diesem Unwetter hast du sie in Gefahr gebracht. Und du hast mich nicht mal vorher angerufen.«
Jessica atmete tief ein und stieß die Luft langsam wieder aus. »Nein, ich habe nicht angerufen. Du hättest ja doch nur gesagt, wir sollten nicht kommen. Sie gehören hierher, Dillon.«
»Jessica, die Erwachsene. Es fällt mir schwer, dich nicht mehr als einen unbändigen Teenager zu sehen und zu akzeptieren, dass du jetzt eine Frau bist.« Sein Tonfall war die reinste Beleidigung.
Sie reckte das Kinn in die Luft. »Also wirklich, Dillon, ich hätte gedacht, du würdest es vorziehen, mich dir als eine wesentlich ältere Frau vorzustellen. Schließlich warst du nur allzu bereit, Trevor und Tara nach Mamas Tod bei mir zu lassen, ganz ungeachtet meines Alters.«
Er erhob sich von seinem Stuhl und bewegte sich flink durch den Raum, um Abstand zwischen sich und
Jessica zu bringen. »Darum geht es also? Willst du mehr Geld?«
Jessica blieb stumm und sah ihn an. Es kostete sie große Selbstbeherrschung, nicht aufzustehen und hinauszugehen. Sie ließ zu, dass sich das Schweigen in die Länge zog und zu einem spannungsgeladenen Moment führte. Schließlich drehte Dillon sich zu ihr um.
»Das war sogar unter deiner Würde, Dillon«, sagte sie leise. »Du hättest schon vor langer Zeit ein paar Ohrfeigen verdient gehabt. Erwartest du Mitleid von mir? Ist es das, was du willst? Mitgefühl? Bedauern? Da kannst du lange warten.«
Er lehnte am Bücherregal und hatte seinen Blick fest auf ihr Gesicht gerichtet. »Das habe ich vermutlich verdient. « Seine behandschuhten Finger glitten über einen ledernen Buchrücken. »Geld war für dich und deine Mutter nie ein großer Anreiz. Es hat mir leidgetan, als ich von ihrem Tod erfahren habe.«
»Ach ja? Wie nett von dir, Dillon, dass es dir leidgetan hat. Sie war meine Mutter und die Mutter deiner Kinder, ob du es wahrhaben willst oder nicht. Meine Mutter hat sich fast vom Tag ihrer Geburt an um Tara und Trevor gekümmert. Sie haben nie eine andere Mutter gekannt. Dieser Verlust hat sie am Boden zerstört. Ich war am Boden zerstört. Deine freundliche Geste, Blumen zu schicken und die Abwicklung der Beerdigung zu übernehmen … ließ zu wünschen übrig.«
Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und seine blauen Augen wurden eisig. »Mein Gott, du machst mir Vorwürfe und stellst mein Vorgehen infrage.«
»Welches Vorgehen, Dillon? Du hast ein paar Telefonate geführt. Ich bezweifle, dass sie mehr als ein paar Minuten
deiner kostbaren Zeit in Anspruch genommen haben. Noch wahrscheinlicher ist, dass du Paul gebeten hast, das für dich zu erledigen.«
Er zog seine dunklen Augenbrauen hoch. »Was hast du denn von mir erwartet, Jessica? Dass ich mich auf der Beerdigung blickenlasse? Damit der nächste Medienrummel losbricht? Glaubst du wirklich, die Presse hätte die Finger davon gelassen? Die unaufgeklärten Morde und der Brand waren ein aufsehenerregender Fall.«
»Es ging nicht um dich, Dillon! Es dreht sich nicht alles um dich. Für dich hat nur gezählt, dass sich dein Leben nicht verändert. Seit dem Tod meiner Mutter sind elf Monate vergangen, und es hat sich nichts geändert, oder? Nicht das
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