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Mondsplitter

Mondsplitter

Titel: Mondsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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mit Einfluß in seiner Heimatstadt. Der Vizepräsident ging recht regelmäßig zur Kirche, ob nun eine methodistische oder sonst irgendeine, die gerade in der Nähe war. Wie sein Vater tat er es, weil es politisch zweckdienlich war. Der Wähler erwartete einen frommen Präsidenten.
    Ganz wie sein Vater glaubte er auch, daß das Universum ein Uhrwerkmechanismus war; und falls es einen Uhrmacher gab, hatte er sich zu gut versteckt und konnte sich deshalb nicht mit Fug und Recht über Ungläubige beschweren. Charlie wand sich während langer Predigten, wenn er doch lieber Golf gespielt hätte. Oder ausgeschlafen hätte. Kirchen hatten noch einen Nachteil: Wenn der Prediger herausfand, daß der Vize-Präsident zur Gemeinde gehörte, nutzte er oft die Gelegenheit, im Namen seines moralischen Lieblingsthemas die Regierung zu attackieren. Charlie hatte man von der Kanzel aus schon wegen diverser Themen angegriffen: Fötengewebe, Kürzungen der Sozialausgaben, Freitod, biosynthetische Forschungen und das Versagen der öffentlichen Schulen, Gott in den Lehrplan aufzunehmen.
    »Ich habe schon immer Menschen beneidet, die einen Glauben haben«, sagte Charlie zu Mark Pinnacle. »Er hilft in Zeiten wie dieser.«
    Der Kaplan wirkte amüsiert. »Ich wünschte, ich könnte sagen, daß er meine Nervosität lindert.«
    Der Tisch war mit glänzendem Silberbesteck gedeckt, mit Stoffservietten, gutem Porzellan und exquisiten langstieligen Gläsern. Es war ein erstaunlicher Rhythmuswechsel, verglichen mit dem sonst so spartanischen Lebensstil auf Luna. Evelyn schenkte Wein ein, und sie hoben die Gläser. »Auf die Mondbasis«, sagte sie.
    Das Lachen und die gute Laune trotzten jeder Logik. Der Anteil an Galgenhumor war ansehnlich, nichts davon rückblickend wirklich komisch (»Hier sitze ich mit der Story des Jahrhunderts, und jemand anderes wird den Schlußsatz schreiben.«), aber zum damaligen Zeitpunkt fanden sie es witzig.
    Charlie stellte fest, wie sehr er diese Menschen mochte: Evelyn, schwarz, schön, messerscharfer Verstand, die einen furchtlosen Eindruck machen wollte, aber das Zittern ihrer Hand versteckte, als sie das Weinglas hob.
    Jack Chandler, der perfekte Bürokrat. Heute abend reserviert, konservativ, ein Mann, der das Leben in Präzedenzfällen und Bestimmungen maß. Vor einer Stunde noch hätte Charlie gedacht, daß Chandler nie gelernt hatte, Spaß zu haben. Jetzt brüllte der Direktor bei jeder Gelegenheit vor Lachen. Und an einer Stelle wechselte er Blicke mit Evelyn und formte lautlos die Worte: Ich liebe dich.
    Keith Morley, TV-Journalist, professioneller Zyniker. Selbsternannter Verteidiger des Allgemeinwohls. Ein Mann, der es genoß, die Reputation von Politikern zu opfern. Aber Morley äußerte eine Reihe von Abschiedswünschen für die anderen: Daß Evelyn den Bankrott abwenden möge, der Mondbasis International drohte; daß Chandler eine noch größere Verwaltung zu leiten bekommen möge, nämlich für die Aufräumarbeiten nach Tomiko; daß der Kaplan in eine stille Pfarrei am Themseufer versetzt werde; und daß Charlie ins Weiße Haus einziehen möge, aber nur, falls er es noch wollte, wenn er wieder zu Hause war.
    Und der Kaplan. Dieser Mann, der vor wenigen Tagen noch so ängstlich gewirkt hatte, der eben noch seine Nervosität eingestanden hatte; er schien hier ganz zu Hause zu sein. Er bedankte sich bei Morley, was andeutete, daß er und der Journalist sich schon über seine Zukunftshoffnungen ausgetauscht hatten. Er räumte ein, die Feier richtig zu genießen, und fragte sich, ob ein solch außergewöhnlicher Abend das Risiko nicht beinahe lohnte.
    Für Charlie, einen unverheirateten Vizepräsidenten, waren fast alle Mahlzeiten, die er nicht allein einnahm, Arbeitsessen oder zumindest offizielle Verabredungen. Heute abend war er für wenige Stunden einer unter vielen. Und er verstand, was Morley mit den Worten gemeint hatte: Nur, falls er es noch wollte.
    Chandler schüttete reichlich Ketchup über seine Fritten; Ketchup war wieder so ein Produkt, das Charlie auf der Mondbasis bislang nicht gesehen hatte. Jack verdrückte einen Happen mit erkennbarem Genuß und sah sich am Tisch um. »War irgend jemand früher schon in einer Situation, in der es um Leben und Tod ging?« erkundigte er sich.
    Evelyn nickte. »Als ich fünf war, wurde ich aus einem brennenden Haus gezerrt.«
    »Du erinnerst dich noch daran?« fragte Chandler.
    »O ja! So klar, als wäre es gestern gewesen. Es ist sogar das früheste

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