Mondsplitter
Teakholzschreibtisch verstreut lagen, und auf die Bilder, die aus Miami auf den Monitor seines Notebooks übermittelt wurden. Das Bild verschwamm ihm vor den Augen; sein Kopf war warm, die Hände zitterten. Emily hatte ihn angefleht, ein Beruhigungsmittel vom Hausarzt anzunehmen. Aber das letzte, was er jetzt brauchte, war ein Tranquilizer. Wie viele Menschen waren in dieser Nacht schon gestorben?
Man würde es nie erfahren; und hätte Henry Kolladner einen Revolver zur Hand gehabt, hätte er das Richtige getan und sich eine Kugel in den Kopf gejagt.
Die Tür ging auf, und Kerr blickte herein. »Henry?« fragte er.
Das einzige Licht im Zimmer außer dem des Notebookmonitors stammte aus der Schreibtischlampe. Henry starrte sie an, ein Geschenk des französischen Präsidenten. »Ich habe die falsche Entscheidung getroffen, Al«, sagte er. Er fühlte sich ausgepumpt und leer. »Wir hätten die Evakuierung der Städte einleiten sollen, sobald wir Bescheid wußten.« Er hatte seine Lektion gelernt. Nur Minuten vor seiner Rede um 23 Uhr 45 hatte er die staatlichen Ressourcen für eine vollständige Evakuierung aller Küstenstädte der Nation abgestellt. Natürlich zu spät. Viel zu spät.
»Sir, wir haben getan, was wir für richtig hielten.«
Er zuckte die Achseln. »Ist auch egal, Al. Eine Menge Menschen da draußen sind tot. Es hätte nicht so weit kommen müssen.«
Lange Zeit schwiegen beide. Dann sagte Kerr: »Feinberg war wieder am Telefon.«
Deutlich war die Verzweiflung aus seiner Stimme herauszuhören. Henry schwenkte langsam den Stuhl herum, blickte seinen Stabschef an, nagelte ihn mit dem Blick fest.
»Worum ging es diesmal?«
»POTIM-38. Den Brocken, über den wir eine Meldung der NASA erhalten haben.«
Der Präsident holte tief Luft. POTIM-38 würde später am Morgen seine Bahn durch den Himmel über China ziehen. Er war groß, ging aber daneben. »Es bleibt doch dabei, daß er danebengeht, oder?«
»Yeah. Ich habe gerade erst das Gespräch mit Feinberg beendet. Das Problem ist: Er sagt, das Ding käme zurück.«
»Was?«
»Er sagt, es würde beim Flug durch die Atmosphäre abgebremst und dann auf eine Schleifenbahn um die Erde gehen. Er weiß es nicht mit Sicherheit, aber er denkt, daß es dann doch herunterkommt. Vielleicht ganz schön schnell.«
»Mein Gott. Dieses Scheißding ist, was, zehn Blocks lang?« Zum erstenmal spürte Henry seine Krankheit wirklich. Wie ein Lebewesen kroch sie ihm in die Eingeweide und die Lungen und ringelte sich um die Wirbelsäule. Das Atmen fiel ihm schwer.
»Feinberg nennt es den Auslöser. Falls es einschlägt, heißt es überall Licht aus. Eiszeit, Hungersnöte, alles mögliche.«
»Wann?«
»Er weiß es nicht. Hängt davon ab, wie es auf den Flug durch die Atmosphäre reagiert.«
»Die schlimmste Möglichkeit?«
»Könnte in ein paar Tagen passieren.«
Henry wischte sich Schweiß von der Stirn und wühlte in den Papieren auf dem Schreibtisch herum, bis er das gesuchte fand. »Die NASA spricht von keiner unmittelbaren Gefahr.« Sein Magen fühlte sich an wie von Stahlbändern umklammert. »Dieser Feinberg, ist er …«
»Unsere Leute halten ihn für den Besten.«
»Okay. Na ja, wir werden nicht einfach hier sitzen und es über uns ergehen lassen. Wir jagen das Scheißding mit Atomraketen hoch.« Er tippte mit dem Finger auf das NASA-Dokument. »Hier steht, daß die größte Nähe um acht Uhr siebenundvierzig erreicht ist. Wir erledigen es heute vormittag ein für allemal.«
»Ich stimme dem zu, Henry.«
»Die NASA soll Feinbergs Angaben überprüfen. Mal sehen, ob sie zum gleichen Ergebnis kommen. Holen Sie mir bis dahin Wilson ans Telefon.« Wilson war Stabschef der Luftwaffe. »Falls die NASA mit Feinberg übereinstimmt, machen wir es.«
Kerr verstieß gegen sein übliches Vorgehen, indem er, während Henry wartete, ein paar schnelle Telefonate führte und den Vorgang einleitete. Dann wandte er sich wieder an den Präsidenten. »Wir müssen noch etwas besprechen, Henry. Der District of Columbia ist gefährdet. Ich denke, wir müssen uns selbst auch ins Binnenland zurückziehen. Nur für alle Fälle. Ich habe mir die Freiheit genommen, ein Kommandozentrum auf dem Luftwaffenstützpunkt Peterson einzurichten.«
Henry hätte am liebsten gelacht, aber sein Hals war trocken. »Peterson? Sie möchten, daß ich nach Colorado gehe und mich dort auf einen Berg hocke?«
»Peterson liegt auf keinem Berg, Henry.«
»Wenn die Leute Colorado hören, denken
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