Mondsplitter
sie an Berge. Wie sieht es wohl aus, wenn der Präsident, der allen gesagt hat: Bleibt zu Hause, macht euch keine Sorgen wegen der Flutwellen, alles ist unter Kontrolle … wenn sich der gottverdammte Präsident absetzt und Kurs auf die Berge nimmt?«
»Die Leute werden viel zu beschäftigt sein, um darüber nachzudenken, Henry. Und anschließend freuen sie sich darüber, daß der Staat immer noch ein Oberhaupt hat.«
»Den Teufel werden sie. Nicht dieses Oberhaupt.«
»Henry, wir haben da draußen Flugzeuge und Satelliten, mehr Spähinstrumente, als wir überhaupt sinnvoll einsetzen können, aber die Flutwellen sind nur schwer zu sehen. Bis sie nahe heran sind. Manche von ihnen rollen mit fast fünfhundert Stundenkilometern an.« Er bedachte Henry mit einem offenen und harten Blick. »Eine Menge Leute arbeiten für Sie, Henry. Wenn Sie sich selbst in Gefahr bringen möchten, ist das eine Sache, aber Sie haben auch Personal, an das Sie denken müssen.«
Und Emily. Aber Emily erkannte das Dilemma selbst und hatte sich geweigert fortzugehen, als er es ihr früher am Abend vorschlug.
Der Präsident hörte Stimmen draußen. »Al«, sagte er, »das Land hängt heute nacht an nur einem Faden. Wenn wir hier noch Leute haben, die wir nicht unbedingt brauchen, schicken Sie sie weg. Dazu gehören die Agenten. Ich habe jedoch einfach nicht genug Zeit, um im Land herumzurennen. Die Planungsgruppe besteht größtenteils aus Soldaten. Sie haben hier ihren Job. Bei mir. Wir bleiben.«
7.
BBC-BEKANNTMACHUNG, 8 Uhr 21 BRITISCHE SOMMERZEIT (3 Uhr 27 OSTKÜSTEN-SOMMERZEIT)
»Hier meldet sich Sidney Cain aus London.« (Die Stimme schwankt.) »Sie sehen hier das alte Finanzzentrum von unweit der Stelle aus, wo vorher die Waterloo Bridge war. Augenzeugen berichten, der Kamm der Woge wäre höher gewesen als der Bahnhof Charing Cross. Die Innenstadt liegt zur Zeit unter etwa drei Metern Wasser. Man schätzt die Zahl der Toten auf über hunderttausend. Und das ist vielleicht eine sehr vorsichtige Schätzung. Inzwischen treffen Hilfsgruppen ein, aber auf sie wartet eine schwierige Arbeit.
Viele …« (Die Stimme versagt kurz.) »Viele Sehenswürdigkeiten sind zerstört. St. Paul’s ist eingestürzt, wie Sie sehen. Das Parlamentsgebäude steht ohne Dach da. Alle Brücken wurden weggerissen. Nelson scheint es überstanden zu haben. Und Cleopatra’s Needle. Aber sonst nicht viel.« (Wieder eine Unterbrechung.) »Schiffe und Nachschub von der ganzen britischen Insel treffen inzwischen ein. Wir haben auch gehört, daß eine französische Flottille unterwegs über den Kanal ist.« (Bemüht sich darum, mehr zu sagen. Gibt es auf.) »Zurück zu Ihnen, Clyde.«
Mikrobus, Flugdeck, 3 Uhr 22
Evelyn hatte darauf bestanden, bei ihr zu bleiben. Saber war zu benommen, um Einwände zu erheben. Eine Zeitlang saßen sie schweigend da, dann redeten sie. Darüber, wie Saber sich fühlte, und später über Tony, über Sabers Ambitionen und endlich über das Lebenserhaltungssystem.
Draußen flog immer noch viel Gestein herum. Saber reagierte automatisch auf die gelegentlichen Warnsignale der Meßinstrumente, schaltete notfalls das Triebwerk ab, veränderte den Antriebswinkel und leistete insgesamt löbliche Arbeit dabei, den Gefahren auszuweichen. Natürlich wurde es auch einfacher. Die vordere Welle der Explosion war so rasch an ihnen vorbeigefegt, daß sie es nur durch schieres Glück überlebt hatten. Jetzt bewegten sich die Trümmerstücke, verglichen mit dem Bus, schon viel langsamer. Demzufolge konnte ein menschlicher Pilot inzwischen hoffen, rechtzeitig zu reagieren.
Jedesmal, wenn Saber beschleunigen mußte, fiel Tonys Leiche achtern zurück und geriet außer Sicht, aber wenn sie eine Zeitlang ohne Schub geflogen waren, schwebte er zurück, als versuchte er, beim Flugdeck zu bleiben. Bei ihr.
Es war unheimlich, und sie war dankbar, daß Evelyn ihr Gesellschaft leistete.
Tonys Tod war schwer zu akzeptieren. Tony war unendlich kompetent gewesen, ein Mann, der glaubte, alles zu schaffen. Ein Ödland hatte sich in Saber aufgetan. Bis sie ihn dort draußen sah, wie er am Ende der Sicherungsleine trieb, hatte sie nicht geahnt, wie sehr sie seine Unterstützung brauchte.
Jetzt saß sie in einem Bus mit abgeschaltetem Lebenserhaltungssystem, ohne Hoffnung auf Rettung, ohne die Möglichkeit, den Schaden zu reparieren. Eine gute Nachricht lag auch vor: Die Funkverbindung mit Skyport stand wieder. Saber hatte ihre Lage
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