Mondsplitter
auf Ihren Bildschirmen nicht erkennen, aber ich sehe etwas, was wie eine Wand aussieht, die sich über den Horizont erstreckt. Das Meer scheint einfach zu steigen. Und zu steigen. (Lange Pause.) Und zu steigen. Gott helfe uns, Rod. Man kann es nur schwer erkennen, aber dieses Ding könnte fünfzehn Stockwerke hoch sein.
Ich hoffe, daß alle Redondo verlassen haben.«
Pazifikküste, 4 Uhr 39 Pazifische Sommerzeit (7 Uhr 39 Ostküsten-Sommerzeit)
Die erste Welle traf lange vor der Morgendämmerung ein. Sie toste zwischen Point Conception und Santa Barbara an die Küste und stürzte brodelnd zwischen die Santa Ynez Mountains. Die vorgewarnte Bevölkerung hatte sich auf höheren Grund gerettet, und nur eine Handvoll Tote waren zu beklagen. Der Nationalparkdienst schätzte die Welle auf eine Höhe von fünfzig Metern.
Innerhalb von Minuten trafen weitere Tsunamis Seattle und die Coos Bay. Die Höhe der Seattlewoge war ursprünglich mit achthundert Metern angegeben worden, als sie die Stadt erreichte, aber Videos, die aus Bürogebäuden und Flugzeugen aufgenommen wurden, zeigten den Kamm auf nur einem Zehntel dieses Wertes. Es reichte.
Zwischen fünf nach halb fünf und fünf Uhr früh erhob sich der Pazifik aus seinem Bett und stieg von Juneau bis San Carlos über die Küste. Los Angeles verschwand einfach, abgesehen von ein paar Wolkenkratzern der Innenstadt und den umliegenden Berggipfeln. Santa Monica und Redondo, Inglewood und Long Beach erlitten größtenteils das gleiche Schicksal.
Auch San Francisco starb. Eine auf zweiundzwanzig Meter geschätzte Flutwelle riß die Golden Gate Bridge um und ertränkte die Stadt von Presidio im Norden bis zum San-Andreas-See im Süden. Sie begrub Oakland und Berkeley und strömte durch das Simi Valley und die Buchten nördlich von San Francisco ins Innere von Kalifornien. Das San Joaquin Valley wurde zu einem Binnenmeer.
Erste Schätzungen gaben die Zahl der Toten allein im Großraum Los Angeles mit zwei Millionen an. Seltsamerweise blieb während der ganzen Flutkatastrophe San Diego unberührt. Von dort wurden niedrigere Gezeitenstände gemeldet als üblich.
In Mexiko stieg der Ozean über Niederkalifornien hinweg, ergoß sich in den Golf von Kalifornien und behielt noch genug Kraft übrig, um selbst der Ostküste zwischen der Isla Del Tiburon und Mazatlán ernste Schäden zuzufügen.
County Route 6, südöstlich von San Francisco, 4 Uhr 59 Pazifische Sommerzeit (7 Uhr 59 Ostküsten-Sommerzeit)
Notdienste waren nicht mehr verfügbar. Alle Telefone waren tot, und das Funkgerät im Polizeiwagen lieferte nur eine Trägerfrequenz. Als sich das erste graue Licht des Morgens ausbreitete, traf ein Hubschrauber der Short Haul Airways mit einem Arzt und einigen medizinischen Vorräten ein.
»Mehr konnte ich nicht tun«, sagte der Pilot, dessen Namen Marisa nicht verstand. »Sieht ganz schön schlimm aus da draußen.«
Zu der vom Erdrutsch eingeschlossenen Gruppe hatte nur ein Arzt gehört, und er hatte sich den Rücken gebrochen. Marisa und Jerry übernahmen darauf die Leitung des Hilfseinsatzes.
Sie wandelten das Restaurant in ein Behelfskrankenhaus um und den Antiquitätenladen in eine Leichenhalle. Marisa hatte versucht, die Schwerverletzten gleich dort zu behandeln, wo sie gestürzt waren, ungeachtet der von der Klippe ausgehenden Gefahr. Die Erde hatte jedoch weitergebebt, und schließlich biß Marisa in den sauren Apfel und gab Befehl, alle wegzuschaffen. Zehn Minuten später brach der Berg in sich zusammen.
Jerry trieb Freiwillige auf, und sie sprangen ein und halfen – säuberten Wunden, richteten Knochen und setzten Aderpressen an. Der Arzt, der mit dem Hubschrauber gekommen war, hatte Urlaub in einer Berghütte gemacht, wo ihn Short Haul fand. Etwa vierzig Personen benötigten stationäre Behandlung. »Keine Chance«, sagte der Arzt. Er hieß Hardacre und war Anfang Dreißig, ein junger, gutaussehender Typ, der sich beschwerte, es wäre sein erster Urlaub in drei Jahren gewesen. Er schien die Katastrophe als persönliche Zumutung zu betrachten. Aber er war hergekommen und wirkte kompetent, und deshalb beklagte sich Marisa nicht.
»Was meinen Sie mit: keine Chance?« wollte sie wissen.
»Haben Sie ferngesehen?« fragte er.
»Nicht während der letzten Stunde oder so.«
»Sobald Sie eine Minute Zeit haben, tun Sie es. Was an Krankenhäusern übrig ist, wird unter Wasser stehen. Es dauert wohl lange, bis irgend jemand wieder Betten frei
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