Mondsplitter
hat.«
Marisa sah sich unter ihren Patienten um. Feldbetten standen nicht zur Verfügung, weshalb die Patienten alle auf dem Boden lagen. Dort hatte man es ihnen so bequem gemacht, wie die Umstände erlaubten. Hardacre hatte einige Schmerzmittel und andere Hilfsmittel aus dem Notvorrat seines Urlaubsortes mitgebracht, und das half, half sogar sehr. Aber diese Leute benötigten ernsthafte Behandlung. Was sollten sie tun?
Wie um das zu unterstreichen, wurde ein fernes Murmeln hörbar. Marisas erster Gedanke war, daß der Rest des Berges einstürzte. Hier waren sie ein gutes Stück auf der anderen Straßenseite, weit und sicher genug, aber dieses Geräusch unterschied sich von dem, was sie zuvor gehört hatte. Und es kam aus der entgegengesetzten Richtung, vom San Joaquin. Vielleicht war diesmal der Teil des Berges an der Reihe, auf dem sie saßen.
Sie verbannte den Gedanken und fuhr damit fort, einen Verband zu wechseln. Die Patientin war eine Frau in den mittleren Jahren mit zertrümmertem Bein und zerschnittenem Arm. Hardacre hatte den Arm mit zwanzig Stichen genäht und das Bein so gut geschient, wie er konnte. Der Ehemann der Frau war unversehrt geblieben und saß neben ihr.
Marisas Gedanken kehrten zu Jerry zurück. Gemeinsam hatten sie eine Sammelstelle für die verirrten Kinder aufgebaut, die herumliefen. Jerry hatte dafür gesorgt, daß die Sammelstelle personell ausreichend besetzt wurde, und war jetzt auf der anderen Seite des Restaurants damit beschäftigt, Verbände zu wechseln. Das tat er nicht gerne; tatsächlich hatte er den Anblick von Blut noch nie sehr gut vertragen, aber an diesem Morgen glänzte er.
Als Marisa mit der Frau fertig war, machte sie bei den übrigen Patienten weiter. Das ferne Geräusch wurde lauter. Es klang ganz anders als das furchterregende Tosen des Erdrutsches, aber trotzdem beunruhigend, als käme irgendwas heran.
Sie wechselte gerade einen Verband, als eine der Freiwilligen zur Tür hereinplatzte. »Das Tal läuft voll!« schrie sie.
Marisa war inzwischen fast immun gegen Alarm. Sie beendete erst, was sie gerade tat, und spazierte dann zu einem der hinteren Fenster, das Ausblick auf den San Joaquin gewährte.
Das Tal breitete sich vor ihr aus, ein gewaltiges Becken, umrahmt von Bergen, die der Nebel des frühen Morgens verhüllte. Im Westen stürzte eine Sintflut durch einen schmalen Hohlweg und breitete sich auf dem Talgrund aus.
Als Marisa später eine Pause einlegte und Erin und Jimmy besuchte, klammerten sich die Kinder an sie und fragten, wann es wieder nach Hause ginge. Zu diesem Zeitpunkt erstreckte sich ein ruhiges, friedliches Binnenmeer zur Morgensonne hin, soweit Marisa blicken konnte.
»Wir sind zu Hause«, sagte sie ruhig.
Mikrobus, Passagierkabine, 8 Uhr 03
»Sagen Sie das noch mal, Al.«
Charlie bemühte sich um einen leisen Ton, damit niemand mithörte. Die Gespräche zwischen den übrigen Passagieren brachen jedoch immer ab, sobald er telefonierte. Er wußte, daß sie nicht angestrengt lauschten, außer vielleicht Morley, dessen Job es war. Aber die menschliche Natur war hier am Werk. Sinnlos, sich unter diesen Umständen um Privatsphäre zu bemühen. Und was machte es ohnehin schon aus?
»Ich sagte, der NASA zufolge ist alles okay mit Ihnen. Sie haben herausgefunden, wie Sie gerettet werden können.«
»Ich wußte gar nicht, daß ich gerettet werden muß.«
»Mein Gott, meinen Sie das ernst? Sie sind unterwegs zum Pluto oder so was! Deshalb schickt man die Lowell hinter Ihnen her.«
Charlie winkte ab. Verglichen mit allem anderen, was auf ihn eingestürzt war, wirkte diese Nachricht fast enttäuschend langweilig. »Okay«, sagte er.
Über den größeren Teil von zwei Stunden hatte er immer wieder mit Al Kerr telefoniert und sich über eine Reihe zunehmend verzweifelter Situationen auf den neuesten Stand gebracht. In den Vereinigten Staaten saßen buchstäblich Millionen Menschen auf der Straße, ohne Nahrung oder Unterkunft, was die Anstrengungen der Hilfsdienste zunichte machte. Beide Küsten und die Inseln von Hawaii waren von Flutwellen und Stürmen schwer geschädigt. An einigen Stellen hatte es Erdbeben gegeben. Die Vermögensschäden beliefen sich wahrscheinlich auf Billionen. Und Gott wußte, wie viele Menschen umgekommen waren. Die Gesundheitsbehörden warnten schon vor Infektionskrankheiten. Vom Pazifik wurden weitere Flutwellen gemeldet.
New York und Los Angeles waren praktisch verloren, und Finanzexperten wiesen darauf
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