Mondsplitter
die sagten, Haskell wäre ein Gauner, und ich mag solche gedankenlosen Schlammwürfe nicht. Ich kann jedoch verstehen, warum die Menschen aufgebracht sind. Wir alle wissen, daß sich der Präsident gern gegen die Politik Henry Kolladners abgrenzen möchte. Aber das kann er nicht. Das Land vertraut seiner Partei nicht mehr, es vertraut ihm nicht mehr, und wir können einfach nicht weitermachen wie bisher. Das Leben der Nation steht auf dem Spiel. Wir müssen vorangehen, und wir müssen es schnell tun. Deshalb wäre den Interessen aller am besten gedient, wenn …«
Charlie schaltete den Ton ab und starrte die Frau an. Ein aufgeblasenes, arrogantes altes Miststück, das bereit war, das Überleben der Nation aufs Spiel zu setzen, nur um unverzüglich einen politischen Vorteil herauszuschlagen. Evelyn hatte von ihrem Platz aus zugesehen.
»Ich frage mich, wie es diese Leute überhaupt schaffen, gewählt zu werden«, sagte er.
Sie betrachtete ihn seltsam.
»Wieso?« fragte er. »Was ist so amüsant?«
»Ihr Freund Rick Hailey hatte sich darauf spezialisiert, die Wahl solcher Leute zu ermöglichen.«
»Mich eingeschlossen?« wollte er wissen.
Ihre Augen wurden schmal, als sie ihn abschätzte. Charlie war schon zu lange im Geschäft, um sich über unverblümte politische Angriffe Sorgen zu machen, aber Evelyns Meinung erschien ihm ungewöhnlich wichtig.
»Nein, Charlie, Sie nicht eingeschlossen. Sie waren in seiner Karriere so etwas wie eine Anomalie. Irgendwann müssen Sie mir das mal erklären.«
Charlie erhielt Meldungen von isolierten Aufständen im Kernland. Die nationale Krise hatte die Verrückten aus ihren Löchern getrieben, und sie riefen unabhängige Staaten aus, bedrohten die örtlichen Gesetzeshüter, begingen in manchen Fällen Morde und nahmen Geiseln. Mehrere Städte in Montana und Idaho waren in ihrer Gewalt und schickten die Behauptung über den Äther, sie hätten sich von den Vereinigten Staaten abgespalten.
Charlie hätte sich eine größere Privatsphäre gewünscht, als sie die Toilette bot. Er ertappte sich dabei, wie er Kerr und anderen Gesprächspartnern gegenüber Formulierungen gebrauchte, die auf ihre Wirkung auf die übrigen Passagiere hin abgestimmt waren. Als er zum Beispiel dem Gouverneur von Idaho empfahl, gegen die Aufständischen vorzugehen und sich dabei der vollen Unterstützung durch den Präsidenten gewiß zu sein, stellte er fest, wie er den Tonfall der Botschaft abmilderte. Wir haben weder die Zeit noch die Mittel für Belagerungen, hatte er sagen wollen. Entsenden Sie die Nationalgarde und schießen Sie ihnen die Ärsche weg. Statt dessen lieferte er einige schönfärberische Bemerkungen, in denen er angemessene Reaktionen der Bundesstaaten verlangte und versprach, daß sie die volle Unterstützung der Union erhalten würden.
Sabers Stimme ertönte in der Bordsprechanlage. »Sie werden vielleicht nach Backbord hinausblicken wollen.«
»Welche Seite ist Backbord?« fragte der Kaplan.
Lichter bewegten sich dort zwischen den Sternen. Die Kavallerie war eingetroffen.
Sie schüttelten sich reihum die Hände und gratulierten sich gegenseitig. Morley ging auf Livesendung, fing die Feierstimmung ein und informierte sein Publikum darüber, daß der Luftvorrat nur noch für zwei Stunden gereicht hätte. Charlie hatte den Eindruck, der Journalist hätte es lieber gesehen, wenn es knapper gewesen wäre, wenn die Leute schon das Bewußtsein verloren hätten, während die Lowell für eine Rettung in letzter Minute längsseits ging. Na ja, Transglobal konnte nicht alles haben. Er stieg ein letztes Mal zum Flugdeck hinauf, wo Saber ihn mit breitem Grinsen empfing. »Danke«, sagte Charlie. »Für alles.«
Sie zuckte die Achseln, deutete an, daß es doch selbstverständlich gewesen war. »Hat mich gefreut, helfen zu können, Herr Präsident.«
Sie hatten, um noch das mindeste zu sagen, einen erschütternden Flug hinter sich, auf dem Charlie Haskell zunächst nichts weiter gewesen war als einer unter gleichen. Er war es schon gewohnt gewesen, mit Assistenten wie Rick zu reisen, oder mit ausländischen Würdenträgern oder Journalisten. Und mit Sicherheitsleuten. Er war immer der Vizepräsident und nie Charlie Haskell. Dieser Haskell ging irgendwo verloren, meldete sich aber in den letzten siebzehn Stunden zurück.
Die Kluft tat sich dann erneut auf, als er vereidigt wurde. Sogar Evelyn zog sich nach der Zeremonie von ihm zurück. Das Gefühl der Kameradschaft mit den anderen, das auf
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