Mondsplitter
fünfzehn Minuten später aus einem Fahrstuhl in der Vorstandsetage der Verwaltungssektion auf. Die Lichter brannten, und die Menschen waren an der Arbeit. Die Sekretärin des Direktors blickte auf, als Rachel eintrat. »Bitte gehen Sie hinein, Oberst.«
John Barringer war arrogant, rücksichtslos und cholerisch. Als Rachel eintrat, sah sie ihn zusammen mit einem Assistenten über Ausdrucke gebeugt. Er bedeutete ihr mit einem Wink, sich zu setzen, entließ den Mitarbeiter und kam zu ihr. »Rachel«, sagte er. »Wann wolltest du die Lowell zurück nach Skyport bringen?«
»Morgen«, sagte sie.
»Ich frage mich, ob ich dich dazu überreden könnte, deinen Flugplan ein bißchen zu beschleunigen?«
Dazu brauchte sie nicht mehr zu tun, als einige Vorräte an Bord zu bringen. Nahrung und Wasser. »Ich wüßte nicht, warum nicht«, sagte sie. »Wann sollen wir unterwegs sein?«
»Schnellstmöglich. Wir haben mit der Evakuierung alle Hände voll zu tun, und du könntest uns helfen.«
»Sicher. Wo fehlt es?«
Barringer lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Auf der Mondbasis wird es eng. Sie müssen dort eine Menge Leute evakuieren. Zur Zeit bringt man sie schon hierher. Du könntest über Luna nach Hause fliegen, einige Leute an Bord nehmen und in Sicherheit bringen. Dabei helfen, den Druck ein bißchen zu mildern.«
»Ich wußte nicht, daß es so eng wird«, sagte sie. »Ich hatte gehört, es gäbe kein Problem.«
»Sagen wir mal: Man hat sich bemüht, die öffentlichen Verlautbarungen optimistisch zu formulieren. Jedenfalls wüßten wir deine Hilfe zu schätzen.«
»Sicher«, sagte sie. »Wir tun, was wir können. Vergiß aber nicht, daß die Lowell nur für sechs Personen gebaut wurde. Lee und ich sind schon zwei. Also können wir nur vier Leute an Bord nehmen. Das klingt nicht nach großer Hilfe.«
Barringer beugte sich vor. »Warum nur vier?«
»Es belastet zwar das Lebenserhaltungssystem, aber wir schaffen vielleicht ein paar mehr. Mach sechs daraus.«
»Gut«, sagte er. »Immerhin ein Anfang. Mal angenommen, wir bringen Sauerstoffmasken an Bord. Wie viele schaffst du dann?«
»Ich denke nicht, daß ich es riskieren möchte, Menschen nur mit individueller Atemausrüstung bis nach Skyport zu bringen.«
Barringer nickte. »Ich denke nicht, daß du schon ganz begreifst, was ich zu sagen versuche, Rachel. Leute, die du nicht mitnimmst, bleiben vielleicht zurück.«
»Mein Gott, ist es so schlimm?«
»Es wird knapp.«
»Wie viele möchtest du an Bord bringen?«
»Um die zwanzig. Vielleicht ein paar mehr, wenn du das hinkriegst.«
»Sie werden es nicht bequem haben.«
»Über ihre Bequemlichkeit machen wir uns keine Sorgen.«
»Okay«, sagte sie. »Schicke mir zwanzig. Nein, mach daraus fünfundzwanzig.«
Barringer war ein Mann, den man in einer Menschenmenge leicht übersehen hätte: rundes Gesicht, zurückweichende Haare, unauffällige Züge. Sie hatte nie viel von ihm gehalten, um die Wahrheit zu sagen. Nach Rachels Ansicht konnte man einen Mann am besten nach dem beurteilen, worum er sich sorgte, und Barringer redete sonst in ihrer Gegenwart nur über Buchhaltungsverfahren und Personalführung. Er kroch sichtlich vor zu Besuch weilenden VIPs und hatte (wenn die Berichte stimmten) nur selten ein freundliches Wort für seine Angestellten übrig. Heute morgen tat er ihr jedoch leid.
»Ich sorge dafür, daß die Tanks und Atemmasken innerhalb einer Stunde verladen werden«, sagte er. Er musterte Rachel kurz. »Ich weiß, daß ihr nur zu zweit seid. Brauchst du einen Ersatzpiloten?«
»Nein«, antwortete sie. »Danke.«
»Ich danke dir, Rachel.«
Sie nickte, stand auf und ging zur Tür.
»Noch etwas.« Er zögerte. »Ist der Flug schon offiziell abgesagt?«
Er meinte den Mars. Den Marsflug. »Nein«, sagte sie. »Noch nicht. Ich vermute, sie haben anderes im Kopf.«
»Es tut mir leid«, sagte er.
Sie verstand: Barringer war schon lange genug im Geschäft, um zu wissen, daß, sollte der Einsatz den Bach hinuntergehen, eine andere Crew an Bord sein würde, falls die NASA irgendwann doch noch zum Mars flog. Und der Flug war ganz gewiß den Bach hinuntergegangen.
»Yeah«, sagte sie. »Danke.«
Mikrobus, 3 Uhr 52
Tony setzte seinen dritten Schwung Passagiere auf L1 ab und machte sich auf den Rückflug. Es wurde ihm allmählich langweilig. Er saß jetzt seit fast fünfzehn Stunden am Stück auf dem Flugdeck des Mikros. Und hatte noch zweieinhalb Tage vor sich.
Als er
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