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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Essen servierten und lachende, rotgeschwitzte Touristen sich in vielen Sprachen unterhielten. Wir saßen einfach da, die Schultern geschüttelt, ein Moment des Schwebens und der Stille, hielten uns an den klammen Händen und sagten kein Wort, lange Zeit.

22. Kapitel
    D enke ich heute an das, was früher war, ist mir, als ob ich mit Giovanni, Peter und Viviane an Fäden hing, so dünn wie Spinnweben und verknotet, wie in einem Netz. Bilder ziehen an mir vorbei, in einer Erinnerung, die irgendwo im Meer flackert. Was eigentlich sollten wir mit den Bildern anfangen? Es kann nicht gut sein, wenn die Seelen voller Albträume sind. Viviane hatte gespürt, dass etwas Schlimmes bevorstand, hatte es sozusagen gerochen. Sie hatte mich gewarnt. Aber als es dann wirklich geschah, traf es mich trotzdem mit voller Wucht, machte mich kopflos. Die Erwachsenen gerieten unter Druck, ein Wort jagte das andere, anmaßend, peinlich berührt, voller Ekel. Schnell wegschieben, die widerliche Sache, nicht mehr darüber reden, nichts damit zu tun haben, rechtzeitig, bevor die Kinder wieder in die Schule mussten! Die Kinder, das waren Peter und ich, die übrig gebliebenen – die kaum noch Kinder waren, die das alles hörten, wie man Dinge ohne jeden Sinn hört. Und hinter dem ganzen Getue stand einfach nur der gefühlsduselige und schockierte Gedanke: »Um Himmels willen, was sollen denn die Leute denken?«
    Zwei Tage nach Vivianes Abreise war Freitag. Der Schirokko brauste mit voller Kraft, durch die Jalousien drang der rote Staub der afrikanischen Wüste. Ich hatte schlecht geschlafen und kam in mieser Laune zum Frühstück hinunter. Mutter, die sich in der Küche um die Rühreier kümmerte, rief mich:
    »Alessa! Geh doch schnell zu Pinto und hol Schinken.«

    In meinem Alter ließ man sich nicht mehr alles gefallen.
    »Schon gut, ich gehe schon. Aber zuerst brauche ich Milchkaffee.«
    »Der Milchkaffee kann warten. Nur die paar Schritte, Alessa! Vater hat einen anstrengenden Tag im Büro und will Eier mit Schinken.«
    Ich warf meinem Vater, der auf dem Sofa mit der Zeitung raschelte, einen wütenden Seitenblick zu.
    »Da sitzt er und wird fett. Kann er nicht selbst gehen?«
    Sie antwortete ungehalten: »Sei nicht unverschämt! Lass ihn seine Zeitung lesen. Er kommt ja den ganzen Tag nicht mehr dazu!«
    Ich klaubte Mutters Portemonnaie aus ihrer Handtasche. Der Lebensmittelladen befand sich gleich um die Ecke. Auch in unserem Straßenzug galten die britischen Bauvorschriften aus dem neunzehnten Jahrhundert; die Häuser – zumeist aus goldbraunem Sandstein und nur mit einem Stockwerk – verfügten über einen Hof oder Garten zur rückwärtigen Seite, stets ohne Lücken zum Nachbarhaus, als ob ganze Straßenzüge aus einem Guss erbaut waren. Jedes Haus hatte einen Türklopfer aus Messing, manche Häuserfronten waren noch mit Ölfarben bemalt, und nach britischem Vorbild war der Name des Hauses auf einem bemalten Keramikplättchen zu lesen. Draußen roch es gut nach nasser Erde, die Straßen wurden mit Wasser bespritzt, die Pflanzen begossen, und Vögel lärmten in den Baumkronen. Von der Haustür aus führte eine geschwungene Steintreppe in den Vorgarten, mit einer Lorbeerhecke und einigen Hibisken bepflanzt. Ein verschnörkeltes Tor, ein paar Eisenstäbe nur, trennte uns von der Straße. Ich lief die Stufen hinunter, als eine leise Stimme meinen Namen rief.
    »Alessa!«
    Die Stimme kam von unten, wo die Treppe ein niedriges Gewölbe bildete, unter dem wir Gerümpel, Mülleimer und Gartenwerkzeuge aufbewahrten. Ich erkannte die Stimme
sofort, beugte mich über das polierte Geländer. Mein Herz klopfte stürmisch.
    »Giovanni?«
    Stille. Erschrocken sprang ich die letzten Stufen hinunter. Giovanni duckte sich unter der Treppe, wo es nach Müll und Kompost roch und Spinnweben am Sandstein klebten.
    Ich kroch hastig neben ihn.
    »Giovanni! Was ist los?«
    Er keuchte leicht, umfasste mich mit beiden Armen. Wir keuchten und zitterten, pressten uns aneinander, bis wir kaum noch atmen konnten. Giovannis Haut fühlte sich heiß und klebrig an. Als ich endlich den Kopf hob und sein Gesicht im Halbschatten erforschte, erkannte ich ihn kaum wieder. Seine Züge waren gröber geworden, sein Gesicht war ausgehöhlt, seltsam schmal geworden. Es würgte mich vor Entsetzen, weil ich spürte, dass er etwas unwiderruflich Schlimmes erlebt hatte.
    »Giovanni! Wie lange bist du schon hier?«
    »Seit heute früh. Vorher… da war ich unten am Hafen. Ich kenne

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