Mondtaenzerin
fühlte mich wie eine Fieberkranke und dazu verurteilt, mich still und beinahe reglos zu verhalten, als ob ich von etwas geheilt werden musste. Ich wollte um keinen Preis, dass er genauso viel wusste wie ich.
›Es war eine Therapie‹, sagte er. ›Joints gehörten dazu und auch, dass wir offen waren für jeden, der zu uns kam und zu uns passte. Wir haben dir nie etwas verheimlicht.‹
›Ich habe mir auch gar nichts entgehen lassen‹, erwiderte ich bissig.
Er kratzte an einem Eiterpickel. In letzter Zeit hatte er ziemlich viele davon.
›Wir erregten Anstoß, ich weiß schon‹, sagte er. ›Valletta ist ein spießiger Ort. Willst du uns deswegen verlassen?‹
Ich hatte mit Alexis noch nie so gesprochen. Es war meine Schuld. Ich hatte mir nie die Mühe genommen, ihn anders denn als den schattenhaften Begleiter meiner Mutter wahrzunehmen. Alexis hatte ein sanftes Herz. Und jetzt war es zu spät.
›Ich kann die Welt nicht verändern, auch wenn ich es möchte‹, sagte ich. ›Dazu braucht es noch zehntausend Jahre. Falls wir dann überhaupt noch da sind. Wir haben ja immer noch nichts gelernt. Aus der Vergangenheit, meine ich…‹
›Wenn du so denkst…‹
›Ich kann nicht machen, dass es schneller geht.‹
Er seufzte.
›Wir wollen den Krieg abschaffen. Und freien Sex haben,
ohne Vorurteile‹, sagte er, und es schien, er spräche zu sich selbst. ›Drogen geben uns das Gefühl, einander zu verstehen.‹
›Obwohl wir uns überhaupt nicht verstehen.‹
Er schüttelte langsam den Kopf.
›Über wen machst du dich lustig? Über mich?‹
›Nein. Und auch nicht über Miranda. Ihr tut mir leid.‹
Alexis’ Gesicht zeigte, dass er bereit war, alle denkbaren Unterschiede zu akzeptieren.
›Urteile nicht so streng, Vivi, sei so gut. Nein, lass mich reden. Richtig angewandt, dienen Drogen dazu, unsere Sensibilität zu steigern. Hast du das nie begriffen? Wenn die Menschen ihr Leben mit diesen starken Gefühlen lebten, wären sie viel ehrlicher, schöpferischer und besser. Paradise now. Wir wollen dir die Welt öffnen, und du schiebst einen Riegel davor. ‹
›Paradise never‹, murmelte ich. ›Du bist süchtig, Alexis‹, setzte ich, noch leiser, hinzu.
Er hob müde die Schultern, ließ sie wieder sinken.
›Ich kann aufhören, wenn ich will.‹
Ich fand das Gespräch grauenhaft. Alexis, der mich trösten wollte, wiederholte nur sein abgedroschenes Vokabular. Woher sollte er wissen, dass die Krankheit schon in seinem Blut keimte? Bis aus den Pickeln Geschwüre wurden und dann Eiterbeulen, war nur eine Frage der Zeit. Ich wusste es aber. Und wenn ich eine Sache erst einmal fühlte, erfuhr und erkannte, konnte ich sie immer und überall fühlen, erfahren, erkennen. Ein Schauder überlief mich. Ich rückte von ihm ab.
›Sei mir nicht böse, Alexis. Aber sobald ich kann, gehe ich weg von hier.‹
Er zuckte leicht zusammen, die Krusten unter seinen Augen bewegten sich.
›Zu Mirandas Vater?‹
›Ja.‹
›Sie sagt, dass er in einem großen Haus lebt.‹
›Er hat ein sehr hübsches Haus. Mir gefällt es dort.‹
›Wirst du deine Freunde nicht vermissen?‹
Ich lächelte ihn an, obwohl mir die Tränen kamen. Er hatte ein Lächeln verdient.
›Danke, dass du fragst. Aber das muss ich mit mir selbst ausmachen.‹
Er stand auf, schöpfte tief Atem und schlurfte aus dem Zimmer. Ich ließ mich auf das Bett fallen und weinte vor mich hin. Ich musste mich ausweinen. Und frage nicht, Alessa, worüber ich weinte. Ich kann es dir wirklich nicht sagen.«
Ich antwortete nicht. Sie hatte meine Neugier auf den Siedepunkt gebracht und mich dann schnöde im Ungewissen zappeln lassen. Ich war beleidigt, hatten wir doch so viele Gedanken, so viele Wünsche und Entdeckungen geteilt, hatten uns manchmal auch zerstritten, das gehörte dazu. Aber Viviane machte keine Konzessionen, und ich musste mich damit abfinden.
Nach einer Weile sagte Viviane, dass sie jetzt gehen müsse. Wir riefen den Kellner, doch der nahm sich Zeit. Und während wir warteten, fragte Viviane unvermittelt: »Wie geht es Giovanni? Siehst du ihn eigentlich oft?«
Meine Wangen wurden heiß. Ich wandte die Augen ab.
»Ja.«
»Hast du es mit ihm gemacht?«
Da war wieder die Vivi von früher, ihre frivole und fiebrige Neugier, ihre anzüglichen Worte, zur Hälfte gesagt, zur Hälfte geflüstert.
Ich schluckte.
»Wenn du so fragst…«
Ich dachte, wenn sie mich jetzt auslacht oder irgendeinen blöden Spruch klopft – ich könnte es
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