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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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hatte ein Heft bei sich, das er mir zeigte.
    ›Solche Bilder, die kennst du doch? Was denkst du dabei?‹
    Er zeigte mir die Bilder, und mir wurde übel. Diese Bilder hatte ich früher bei meinen Brüdern gesehen. Weil ich mich nicht rührte, zog er mich zu sich herüber, sodass mein Kopf auf seinem Knie lag. ›Mein Gott, wie du schwitzt‹, sagte er. ›Bist du krank?‹
    Ich wusste, was er von mir wollte, ich fühlte es ja unter meiner Wange. Ich versuchte mich loszureißen. ›Nein, Onkel Antonino, bitte, ich will das nicht machen!‹
    ›Hör zu‹, sagte er, ›nur dieses einzige Mal. Ich nehme alle Schuld auf mich, biete meine Sünde dem Himmel als Opfer an! Der liebe Gott weiß, dass der Kummer mich auffrisst. Aber Gott hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Er wird barmherzig sein. Wir müssen nur zu ihm beten.‹
    Ich sträubte mich, sein Körper über mir roch nach Schweiß und nach Blut. Er zerrte an meinem Schlafanzug, riss die Knöpfe auf. Seine Hände waren grob und kräftig. Ich wehrte mich, flehte ihn an, er sollte mich in Ruhe lassen. Ich wollte diese Sache nicht mit ihm machen.
    ›Geh weg, Onkel Antonino! Bitte, geh weg!‹
    Er drehte mir das Handgelenk um, ich hörte, wie es knackte.
    ›Warum bist du so störrisch? So undankbar? Nach all dem, was ich für dich getan habe?‹ Er hielt mich mit beiden Armen fest, er geiferte und redete: ›Man kann nicht alle Menschen lieben, Giovanni, wenn man die Menschen kennt. Das kann nur Gott! Man kann sich auch nicht selbst lieben! Ich habe viel Geduld mit dir gehabt, mein Sohn, mein lieber Sohn! Gott hat
mich zur Geduld gezwungen. Nur du kannst mich retten, du kannst mich befreien.‹
    Er packte mich am Nacken, wie mein Vater, wenn er ein Schaf schlachtet, zwang meinen Kopf auf seine Knie. Ich war nass vor Schweiß, und dazu sein Geruch, einfach nicht auszuhalten! Und immer wieder redete er unverständliches Zeug, von Engeln und Opfertieren, er stöhnte und zuckte und drückte mein Gesicht in seinen Schoß, bis mir die Luft ausging. Und da … Alessa, ich kann es nicht anders sagen, da explodierte etwas in mir, und ich habe zugeschlagen. Er prallte zurück, krümmte sich, wollte mich festhalten, und da habe ich ein zweites Mal zugeschlagen, worauf er mit dem Kopf und der Schulter gegen die Wand fiel. Es gab ein dumpfes Krachen, und dann fiel er vom Bett und rührte sich nicht mehr. Ich starrte auf die spitzen Knie, die ausgestreckten weißen Schenkel, die noch ein wenig zuckten… Es sah wirklich entsetzlich aus. Dann habe ich mich in aller Hast angezogen, bin nach draußen gerannt. Die Haustür ist ja immer offen. Und erst, als ich unter dem Sternenhimmel im Garten stand, die dunklen Bäume um mich herum, erst da ist mir bewusst geworden, was ich angerichtet hatte. Vorher hatte ich es nicht gemerkt, das musst du mir glauben, Alessa. Es ist wirklich wahr, was ich sage!«
    Ein wilder Schmerzensausbruch schüttelte ihn. Er kauerte zwischen den Mülleimern, mit nach vorn gesunkenem Kopf und krampfhaft bebenden Schultern. Ich schreckte zurück, als ich sein verzweifeltes, fremdartiges Weinen hörte. Ich war ganz außer mir, ich konnte es nicht ertragen.
    »Genug jetzt, Giovanni, genug! Bitte, weine nicht mehr! Ich glaube dir ja alles, jedes Wort! Beruhige dich, du kannst ja nichts dafür. Wenn du willst, gehe ich mit dir zur Polizei. Du erzählst ganz genau, wie es war, und die Sache kommt schon in Ordnung…«
    Er schluchzte immer noch, mit einem seltsam wimmernden Ton.

    »Unmöglich, Alessa, das hat keinen Sinn! Ich habe zu viel Angst, dass sie mich ins Gefängnis stecken. Versteh doch: Don Antonino braucht nur zu sagen, es war meine Schuld, und alle werden ihm glauben.«
    Ich verstummte vor Schreck, weil das tatsächlich wahr sein konnte. Was zählte das Wort eines Halbwüchsigen aus einer notorisch bekannten Gaunerfamilie gegen das Wort eines rechtschaffenen Priesters? Es war ganz und gar undenkbar, dass Don Antonino nach allem, was geschehen war, die Schuld auf sich nehmen würde. Ich fühlte mich wie ein Mensch, der nachts auf einer Klippe steht und vor seinen Füßen den Abgrund ahnt, den er nicht sehen kann. Ich entsann mich der liebevollen Verehrung, die Giovanni einst für Don Antonino empfunden hatte, ich dachte an seine Dankbarkeit und seine freudige Bereitschaft, ein guter Schüler zu sein – der beste –, um ihn glücklich zu machen.
    Ich hatte etwas sagen wollen, was ihm Trost gab und half. Mir fiel nichts ein. Er merkte es und schauderte,

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