Mondtaenzerin
abbringen.‹ Und da hat sie mir den letzten Nerv geraubt, und ich habe sie angeschrien: ›Ich kann die verlorene Zeit zurückdrehen, du nicht. Und ich weiß jetzt genau, wie die Lüge riecht: Sie riecht wie kranke Scheiße! Willst du die Lüge riechen, Miranda? Steck doch die Nase ins Klo!‹«
Jetzt ging sie doch zu weit. Ich war betroffen.
»Hast du ihr das wirklich gesagt?«
»Warum sollte ich ein Blatt vor den Mund nehmen?«
Ich verlor allmählich die Geduld.
»Nun mal ganz ehrlich: Was ist denn eigentlich passiert?«
»Bist du schwer von Begriff?«, fauchte sie. »Wie oft muss ich dir sagen, dass ich mit dir nicht darüber reden kann?«
Sie sog heftig an ihrem Strohhalm, erzeugte Blasen, die in ihrem Glas gurgelten. Ich hatte sie satt.
»Weißt du was? Miranda hätte dir eine kleben sollen!«
Viviane ließ ein kleines, boshaftes Kichern hören.
»Das hätte sie nicht gewagt! Stattdessen ist sie heulend aus dem Zimmer gerannt. Und ich habe hinter ihr die Tür zugeknallt und mir im Badezimmer das Gesicht gewaschen. Und dann habe ich es an den Spiegel gehalten, mein Gesicht, das auch Lavinias Gesicht ist. Ich habe zu ihr gesagt: ›So, das haben wir hinter uns! War es schlimm?‹ – ›Ein bisschen krass‹, hat Lavinia gesagt. ›Aber du machst deine Sache schon gut. Und ich nehme an, dass es dir nichts mehr ausmacht.‹«
Viviane, die etwas verloren vor sich hin starrte, hob plötzlich den Kopf und sah mich an. Der verschwommene Ausdruck verschwand aus ihren Augen.
»Das war gestern. Ich werde diesen Tag nie vergessen.«
Ich nickte ihr zu und ließ sie reden, in der Hoffnung, dass ich mir beim Zuhören doch noch etwas zusammenreimen konnte.
»Ich trocknete mein Gesicht ab«, erzählte Viviane, »als Alexis kam. Er setzte sich aufs Bett, ich setzte mich zu ihm, und wir haben uns unterhalten. ›Du hättest nicht so frech zu Miranda sein sollen‹, hat er gesagt. ›Ob du es glaubst oder nicht, sie wollte dich nur schützen.‹
Ich glaubte es nicht. Das alles war Blabla.
›Nein, sie wollte nur sich selbst schützen.‹
Alexis, der schöne, beinahe durchsichtige Alexis sah mich traurig an und streichelte meine Hand.
›Verdient sie kein gutes Wort?‹
Ich putzte mir die Nase.
›Ich finde keins, tut mir leid.‹
›Sie war ja erst siebzehn‹, sagte er beschwichtigend. Ich
regte mich sofort wieder auf. Mit dieser Masche sollte er mir nicht kommen.
›Und später? Sie ist doch älter geworden! Und jetzt ist sie vierzig. Was sie hätte machen sollen, war gar nicht kompliziert. Sie hätte nur die Wahrheit sagen sollen. Aber sie hat sich von Anfang an gedrückt. Tatsächlich wollte sie die Sache aus ihrem Leben streichen. Aber so kann sie das Spiel nicht mehr spielen. Nicht mit Grandpa! Und auch nicht mit mir.‹
Alexis rückte mit einer Floskel heraus: ›Sie hatte Angst vor ihrem Vater. Und sie suchte ein neues Lebensgefühl.‹
›Sie nahm Drogen!‹
›Drogen gehörten einfach dazu. Miranda war sehr verklemmt. Es ging nicht um Spaß und Sex, sondern um… Befreiung. ‹
Ich dachte: ›Du schwebst in den Wolken, Alexis, komm wieder auf den Erdboden zurück. Du hast dir ein fantastisches Luftschloss gebaut, im sentimentalen Stil. Und jetzt stürzt alles ein.‹
Ich hatte Mitleid mit ihm. Aber was er sagte, war unwichtig. Seine Worte prallten an meinem Kopf ab. Eigentlich war das schon immer so gewesen. Und weil ich nichts sagte, fragte er: ›Haben wir dich eigentlich unglücklich gemacht?‹
Ich überdachte die Frage und kam zu dem Schluss, dass auch diese Frage unwichtig war.
›Nein, nein. Ich war manchmal verwirrt, aber mehr auch nicht.‹
›Wir haben dich von Anfang an darin unterstützt, dass du eigenständig wurdest. Du warst sehr aufgeweckt.‹
Ich sagte: ›Was verstehst du unter aufgeweckt, Alexis?‹ Ich war nicht einmal mehr neugierig. Alles geschah doch vor meiner Nase. Und mit sieben rauchte ich bereits Joints.
›Koks hätten wir dir nie gegeben‹, sagte er. ›Joints schaden nicht. Haben sie dir geschadet?‹
›Ich weiß es nicht. Ich musste kotzen.‹
›Ist das alles?‹
›Das ist alles. Mehr oder weniger jedenfalls.‹
Er lächelte, schien erleichtert. In seinem Lächeln sah ich Güte, Freundlichkeit und Echtheit. Und ich dachte voller Verzweiflung und Zorn, dass Miranda auch ihn auf dem Gewissen hatte. Denn ich sah Dinge, die ich nicht sehen wollte. Meine Intuition, die jede Minute, in der wir zusammen waren, zu wachsen schien, machte mir Angst. Ich
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