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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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nicht ertragen. Doch sie sagte leise und mit schleppender Stimme: »Das ist gut. Sonst weiß er ja nicht mehr, woran er sich halten kann.«
    Ich fuhr leicht zusammen.

    »Weil sein Onkel sich schlägt?«
    Sie runzelte die Brauen.
    »Er schlägt sich selbst? Womit?«
    »Mit einer Peitsche.«
    Sie verschränkte beide Arme, als ob es ihr plötzlich kalt war. Dabei brannte die Sonne doch so warm.
    »Das ist ja ekelhaft!«
    »Warum, glaubst du, tut er das?«
    Sie zeigte ihre spitzen Zähne, aber ich konnte nicht sagen, ob sie lächelte oder nicht.
    »Vielleicht will er sich bestrafen, weil er nicht fromm genug ist oder so. Sag Giovanni, er soll sich in Acht nehmen. Er hört auf dich, zum Glück. Ich sehe dich immer noch für ihn durch die Brennnessel rennen. So eine blöde Idee, die wir hatten!«
    »Es war doch Peters Idee, oder?«
    Sie wippte mit dem Fuß. Ihre roten Nägel schimmerten wie kleine Tropfen Blut.
    »Peter ist eifersüchtig. Auf dich oder auf Giovanni, abwechselnd. Aber er ist nett, obwohl er wie eine Schildkröte ist. Was ich damit sagen will: Schildkröten werden erst nach hundert Jahren erwachsen.«
    Ich dachte an Peters menschliche Wärme, die er verbarg. Aber alles, was er im Herzen trug, konnte man von seinem Gesicht, seinen Augen ablesen. Er war verloren in einem Labyrinth wilder Fragen, flüchtete in die Konvention, nahm sich den Vater, diese Verkörperung des achtbaren Menschen, als Vorbild. Jung, wie sie war, durchschaute Viviane ihn besser als ich, sprach lebhaft und zärtlich von ihm.
    »Damit du es weißt, Alessa: Peter wird immer mein Freund bleiben. Und ich hoffe, dass ich immer gut zu ihm sein kann. Das wollte ich ihm beim Abschied auch sagen. Aber ich kann ihn nicht erreichen, das ist so idiotisch! Da ist immer seine Mutter am Telefon, und die macht eine Blockade. Sie sagt, Peter sei nicht da. Sie hat mich immer gehasst, diese Ziege! ›Die
kleine Schlampe‹ hat sie mich genannt. Wenn die wüsste, dass Grandpa zum Tee nach Buckingham geht, dass er sich in Ascot mit der Queen über Pferdezucht unterhält. Aber das geht diese Klatschbase wirklich nichts an.«
    Viviane lachte stoßweise und etwas boshaft.
    »Mit dem armen Peter hat das nichts zu tun«, sagte sie, als sie wieder zu Atem kam. »Und ich will auch nicht, dass er schlecht von mir denkt, weil ich mich von ihm nicht verabschiedet habe.«
    »Mach dir keine Sorgen. Ich werde ihm alles erklären.«
    »Danke. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Es ist einfach albern – wie traurig ich bin! Und – Alessa – pass gut auf Giovanni auf. Du weißt doch, dass Persea von uns vieren Giovanni am liebsten hat …« Und wieder kribbelte mein Rückgrat. Die Warnung durfte ich nicht in den Wind schlagen. Ich war zu nüchtern, zu sachlich, um Viviane in ihre Halluzination zu folgen. Trotzdem begann ich mich zu fürchten. Ihr sechster Sinn war so ausgeprägt wie bei einem Tier. Redete sie so vor sich hin, blitzten ihre Augen manchmal auf, ein kindliches Funkeln, dann waren ihre Lider wieder halb geschlossen. Ihre Art war mir längst vertraut. Viviane wurde von großen, unkontrollierten Gefühlswogen getragen, sie sah Zukunftsbilder, als ob sie in die Luft gemalt wären oder vor ihr auf dem Boden lägen. Sie hatte das Gesicht der Idealisten und Träumer, vollkommen oval, mit hoher Stirn, schmalen Nasenflügeln und einem Mund, der gleichzeitig Schmerz und Lächeln zeigte. Alle großen Maler der Renaissance haben die Muttergottes mit diesem Gesicht gemalt. Noch während ich sie unsicher anstarrte, fanden sich unsere Augen. Ich sah, dass sie mich wieder wahrnahm. Ihr Lächeln, kaum angedeutet, zeigte die gleiche offene Wärme wie zuvor. Und plötzlich fassten wir uns an den Händen, drückten sie fest. In einer Freundschaft gab es eine gemeinsame Vergangenheit, es gab Visionen, Träume, Streitereien, Versöhnungen und Bewährungsproben. Gemeinsam
waren unsere Gedanken und Gefühle erwacht, wir erinnerten uns an dieses, dachten an jenes. In unseren Tiefen waren die Schatten, das Geisterhafte, die schweren Dinge. Das Geheimnis gehörte uns für immer. Keine Trennung konnte es auslöschen, auch wenn unsere Verständigung nur eine imaginäre war. Sahen wir uns an, glaubten wir daran. Unbeherrschtes Schluchzen stieg in unseren Kehlen hoch, es geschah fast gleichzeitig; wir konnten nichts dagegen machen. Mit zitternden Lippen saßen wir da, alles rückte in weite Ferne, die Bewegungen setzten aus, der Lärm wurde leiser, obwohl Kellner kamen und gingen, das

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