Mondtaenzerin
hinauf, und als ich die Wohnungstür einen Spalt breit öffnete, schlüpfte sie an mir vorbei hinein. Sie ging in der Wohnung umher, wie eine scheue, stolze kleine Fürstin, beschnupperte alles, rieb sich an den Tischbeinen. Dann sprang sie beherzt auf die Sofabank, lehnte den Kopf an ein Kissen und sah mich an, als ob sie sagen wollte: »So, hier bin ich, und ich geh nicht mehr fort.« Tatsächlich wollte sie die Wohnung nicht mehr verlassen: Ich rief sie leise, lockte sie nach draußen, hielt die Tür für sie auf. Die Katze sah mich mit ihren seltsamen Augen an und drehte dann den Kopf zur anderen Seite. Die Bewegung war endgültig. Sie wollte nicht wieder weg. Mir blieb nichts anders übrig, als ihr einen kleinen Sandkasten und Futter zu besorgen, und dazu ein rotes Halsband, das sie willig annahm. Ich gab ihr den Namen Kenza. Tagsüber, wenn ich fort war, lag sie im Liegestuhl auf dem Balkon und blieb den ganzen Tag draußen im Halbschatten. Nachts kam sie zu mir, kuschelte sich neben mir auf mein Bett, schlief in der Beuge meiner angewinkelten Knie oder neben meinen Füßen. Sie hatte ein paar Flöhe, doch sie putzte sich immerfort, und nach einigen Tagen war ihr weißes Fell makellos. Und es war, als ob die Katze meinen überreizten Nerven Ruhe schenkte, denn meine Träume wurden seltener. Ich schlief wieder ruhig.
Als Peter mich besuchte, empfing ihn Kenza mit distanzierter Ruhe, setzte sich dann abseits, als wollte sie sich nicht in unsere Zweisamkeit mischen. Doch sie ließ sich geduldig von Peter untersuchen. Er ging sehr liebevoll mit Kenza um, prüfte Augen, Zahnfleisch, Rachen und Ohren. Sie war ein Weibchen, das schon Junge gehabt hatte. Und er entdeckte einige
Narben am Hals und am Nacken, die bezeugten, dass sie böse Zeiten durchgemacht hatte.
»Ansonsten ist sie gesund«, sagte Peter, »gute Augen, gute Zähne, gute Ohren. Aber offenbar ist ihr die Welt zu viel geworden. Jetzt will sie Ruhe, Bequemlichkeit und Verpflegung, und du bist ihre Auserwählte. Sie wird dich nicht mehr verlassen, es sei denn, du schmeißt sie raus.«
»Um Himmels willen!«, sagte ich. »Es ist doch schön, wenn ich nach Hause komme und mich jemand erwartet.«
Peter sagte, dass er sie impfen würde; gesunde Tiere vertrugen eine Impfung. Auch die Krallen mussten geschnitten werden. Peter setzte die Katze auf seinen Schoß, ging sehr behutsam vor, sodass Kenza sich nicht einmal wehrte. Man merkte ihm seine Erfahrung mit Tieren an.
Blieb Peter über Nacht, zeigte Kenza kein Missfallen, sondern lag auf einem Kissen unter dem Bett. Nachts hörten wir sie manchmal schnarchen. Peter war jetzt viel ausgeglichener als früher, weniger wehrlos, obgleich er oft müde wirkte, schlug er sich doch in der Pizzeria die halbe Nacht um die Ohren.
»Ich lerne den ganzen Tag, und abends muss ich Geld verdienen. Ich bin oft todmüde und habe es satt. Aber ich mache weiter. Ich bin so verrückt.«
Wir sahen uns nur am Wochenende, und in letzter Zeit weniger, weil er für sein Examen büffelte. Unser Zusammensein war im Ganzen etwas sehr Unaufgeregtes; wir lachten viel und waren auch glücklich. Peter mit seiner zarten Haut, seine weichen Fingerkuppen kannte meinen Körper gut, wusste, wo er mich streicheln konnte, sodass ich antwortete, mein Körper reagierte. Mit Worten nicht. Ich brauchte keine Worte. Er war gut und zärtlich, wir kannten uns schon so lange; es war schön, Vertrauen zu haben, lieben zu können, nichts Inkonsequentes mehr, nichts Verwegenes. Es waren Gefühle, die uns in klarer Einfachheit verbanden. Wir waren beide, obwohl wir
es nicht zugaben, extrem eigenwillig, extrem feinfühlig. Denn auch die Liebe zweier Menschen füreinander kann nichts anderes erreichen, als dass sie ihre Einsamkeit erkennen und ergänzen, um einander zu trösten und zu beschützen. Peters nachgiebiger Männerkörper verlieh mir Sicherheit. Ich war allmählich überzeugt davon, dass Peter der Richtige für mich war. Manchmal, wenn er auf mir lag, packte er meinen Kopf mit beiden Händen und sah mich ernst an, als ob er in das Gesicht einer Fremden schaute. In diesen Augenblicken schwieg ich; und durch mein Schweigen fühlte ich in ihm eine überraschende Unsicherheit. Im Gegensatz zu mir wurde er in der Liebe gesprächig.
»Sprich, sprich!«, sagte er manchmal, »hör nicht auf! Ich liebe deine Stimme.«
»Meine Stimme?«, fragte ich überrascht.
Oft war mir, als hätte meine Stimme etwas Linkisches aus der Kindheit behalten, den rauen
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