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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Idee, dass er darunter ein Hemd anhatte, irgendeinen Stoff mit spiralförmigen, indigoblauen Mustern. Erst beim zweiten Blick merkte ich, dass seine Arme, Schultern und Hände tätowiert waren.
    Doch auch dies sah ich – wie alles andere –, ohne es bewusst wahrzunehmen. Schon beugte er sich zu mir, seine Arme umfassten mich, zogen mich fast die letzte Stufe empor. Und nun, da er mich umarmte, da seine Hände über meine Arme strichen, traf mich die Berührung wie ein glühender Schock. Seine Haut war so straff und lebendig unter den Spiralen, die mit jeder Bewegung seiner Muskeln ihre Form zu verändern schienen. Es war seltsam, diese Muster aus unmittelbarer
Nähe zu betrachten, Muster, die ich kannte und doch nicht kannte. An seiner Erscheinung war nichts mehr weich; seine Härte schien tief in seinem Charakter zu wurzeln, sie war wie eine schnell zupackende, gefährliche Kraft. Seine Sanftheit – wenn es sie noch gab – hielt er sorgsam in der Tiefe seines Wesens verborgen. Mir aber zeigte er sie rückhaltlos, lehnte sich an mich, als ob ich ihn halten müsse, als ob er müde wäre, so unendlich müde, dass er ohne meine Hilfe zu keinem Schritt mehr fähig war.
    Einige Atemzüge lang standen wir Wange an Wange, bevor ich endlich das Schweigen brach.
    »Wie hast du erfahren, wo ich wohne?«
    »Man hat es mir gesagt.«
    Seine Stimme war tief, schön im Klang, sehr männlich. Es war nicht mehr die Stimme von früher.
    Ich legte meinen Arm um seine Schulter. Er trug einen silbernen Ohrring. Mir fiel auf, dass er die Form einer Schlange hatte.
    »Komm!«, sagte ich.
    Ich drehte den Schlüssel im Schloss und stieß die Tür mit meinem Knie auf. Kenza saß an ihrer gewohnten Stelle, genau in der Mitte zwischen Tür und Fenstertür. Sie saß da wie eine kleine Gottheit, rührte sich nicht, zeigte nicht die geringste Furcht. Sie war hier zu Hause, und Besuch war nur Besuch. Ich lächelte mit zitternden Lippen, deutete auf meine Mitbewohnerin.
    »Kenza«, sagte ich.
    Er lächelte ebenfalls, hob leicht die Hand; sein Gruß galt der Katze.
    »Sie hat seltsame Augen«, stellte er fest.
    »Ja, nicht wahr?«, erwiderte ich kehlig.
    Mehr konnte ich nicht sagen. Ich bewegte mich wie eine Spielpuppe, tat jede Geste aus reiner Gewohnheit. Fast war ich über mich selbst erschrocken und über den Aufruhr von Empfindungen, den Giovanni in mir erweckte – dieser Unbekannte,
den ich schlafend vor meiner Tür vorgefunden hatte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Giovanni die Katze beobachtete, sie mit langsamen Schritten umkreiste. Kenza behielt ihn ihrerseits im Auge, nahm seinen Geruch wahr, die Schwingungen, die von ihm ausgingen. Dann erhob sie sich, drehte ihm den Rücken zu, gelassen, ging zu mir in die Küche und setzte sich neben ihren kleinen Teller, den ich füllte.
    Ich sagte: »Kenza ist den ganzen Tag allein. Sie bekommt ihr Fressen immer zuerst.«
    Er nickte.
    »Das ist auch richtig.«
    »Setz dich«, sagte ich. »Hast du Hunger?«
    »Etwas könnte ich schon vertragen.«
    Ich holte ein Fertiggericht aus der Tiefkühltruhe und machte es warm. Es dauerte nicht lange. Kenza fraß ruhig, mit den sauberen kleinen Gesten ihres Pfötchens, bevor sie sich auf ihren Platz auf das Sofa setzte, neben Giovanni, der die Hand ausstreckte und sie geistesabwesend kraulte. Ich sagte, in spaßhaftem Ton und wie jemand, der ein Schweigen überbrücken will: »Sie mag dich.«
    Er sah auf. Sein silberner Ohrring warf einen kleinen Funken.
    »Wieso auch nicht? Ich habe Tieren nie etwas Böses getan. Und die Tiere spüren das natürlich …«
    Er hatte noch immer diesen abwesenden Blick. Doch jedes Mal, wenn er sprach, wurde seine Stimme lebhafter und sein Gesicht erschien jünger. Er saß entspannt da, seine Hand auf das Köpfchen der Katze gelegt, und doch hatte ich das Gefühl, dass er ein Mann war, der unaufhörlich in der Erwartung einer Gefahr lebte, dass er diese Gefahr nie herausforderte, aber immer für sie bereit war. Diese Eigenart war etwas sehr Verwirrendes. Sie war vollkommen neu. Und doch war Vertrauen zwischen uns, etwas Unversehrtes, es war auf reine Weise und auf unantastbare Art in unseren Stimmen,
in unseren Bewegungen und sogar in unserem Schweigen eingeprägt.
    Inzwischen holte ich zwei Teller und Besteck und stellte das warme Reisgericht auf den Tisch.
    »Möchtest du ein Glas Wein?«
    »Gerne. Und für dich?«
    »Ich nehme auch ein Glas.«
    Ich reichte ihm die Flasche, die er öffnete, und brachte zwei Gläser. Wir

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