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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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dunklen Ton fand ich wenig anziehend. Doch Peter sagte, diese Stimme sei einzigartig, er habe sie ständig im Ohr gehabt, seitdem wir uns in London zum letzten Mal gesehen hatten und zusammen nach Rügen gefahren waren. Wenn er so sprach, dachte ich, mein Gott, wie lieb ich ihn habe! Ihm konnte ich ohne Scheu in die Augen sehen, ihn konnte ich schön finden und es ihm sogar sagen. Er wollte ja, dass ich sprach. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Nannte ich leise seinen Namen, machte es ihn glücklich. Dann küsste er mich auf die Augen, auf die Stirn, die Haare und sagte bei jedem Kuss: »Ich liebe dich.«
    Diese Worte wiederholte er mehrmals, mehr für sich als für mich, schien mir, als ob er sich zwingen müsse, sie für wahr zu halten. Er erwartete eine Antwort, aber ich sprach diese einfachen Worte nie aus. Ich konnte in seinem Gesicht lesen, dass er sich scheute, mich darum zu bitten. Manchmal legte er den Kopf auf meine Brust, hielt mich fest und blieb mit geschlossenen Augen liegen. Er überließ sich mir, was mich verwirrte.
Ich, deren Leben aus Leidenschaft und Aufruhr bestand, genoss diese stumme Vertrautheit, diese Windstille der Seele. Doch immer blieb diese verborgene Sphäre in mir, ein ferner Raum des Schweigens. Und dahinter war nichts, das ich voraussehen konnte.
    Seit einiger Zeit hatte ich verstörende Gefühle. Ich wusste nicht, woher sie kamen, jedenfalls erlebte ich sie nicht nur im Traum, sondern auch, wenn Peter und ich auf den Klippen wanderten, wo wir Vögel beobachteten. Wehte mir der Wind ins Gesicht, war mir, als ob die Schwerelosigkeit mich aufnahm. Und unwillkürlich stellte sich der Gedanke in mir ein: Die Arme auszubreiten, wie ein Vogel seine Flügel, mich dem Wind zu überlassen, ach, wie verlockend das war! Peter erschrak, als ich eines Tages, im starken Luftstrom, über den steilen Felsen auf das Meer blickte. Ich befand mich plötzlich in einer Art Trance, hatte das Gefühl, dass ich einfach springen musste, in den Wellenstrudel, aus dem ein Auge starrte, geheimnisvoll und bezwingend. Alle Geräusche erstarben, ich hörte nichts mehr, weder das Schlagen der Wellen noch das Sausen des Windes. Ich sah nur dieses Auge, das an die Oberfläche trat, wieder hinabtauchte, das sich öffnete und wieder schloss, leicht hin und her schwankend, als ob es blinzelte, das mich anzog wie ein Magnet.
    »Alessa!«
    Peters Stimme erreichte mich durch fremde, ferne Luftschichten. Ich fuhr leicht zusammen. Er packte mich am Arm, zog mich zurück.
    »Geh nicht so nahe an den Rand!«
    Ich sah ihn an, als wäre er vom Himmel gefallen. Ich hatte ihn ein paar Atemzüge lang vollkommen vergessen. Richtig zu Bewusstsein gekommen war ich noch nicht. Ich wartete ein wenig, bis mein Atem wieder ruhig ging, und sagte: »Früher sind wir da hinuntergeklettert, bis zum Strand. Weißt du noch?«

    »Ja, wir waren ganz schön leichtsinnig.« Peter hielt noch immer meinen Arm. »Heute würde ich das nicht mehr tun.«
    Damals hatte keiner versucht, uns davon abzuhalten, etwas besonders Verwegenes zu tun.
    »Nimm die Vorstellung zu Hilfe, du hättest Flügel«, sagte ich.
    Er lächelte, aber nicht ganz von Herzen.
    »Ich kann’s mir ein wenig vorstellen. Aber ich fühle mich hier oben wohler.«
    Die Realität sollte mir nicht mehr entgleiten. Entschlossen blickte ich auf das Meer hinab. Kein Auge mehr, nichts, nur weißer Schaum.
    »Du denkst zu viel«, hörte ich Peter sagen.
    Ich machte behutsam meinen Arm los.
    »So ist es.«
    Ich spürte eine Traurigkeit in mir, die ich nicht in Worte fassen konnte. Diese merkwürdige Traurigkeit war immer da, auch wenn ich mit Peter scherzte und lachte. Die Traurigkeit senkte sich auf mich herab, füllte mein Herz mit Unbekanntem, verdammte mich zur Einsamkeit. Aber was konnte ich sagen, an Stelle dessen, was ich nicht sagen wollte? »Es lässt sich nicht ändern«, dachte ich, aber auch das sagte ich Peter nicht. Es lief aufs Gleiche hinaus, ob ich es ihm sagte oder nicht. Und auch meinen immer wiederkehrenden Traum – den Absturz ins Meer – verschwieg ich ihm. Wir alle haben unsere Neurosen.

35. Kapitel
    D er Oktober kam mit klarem Licht, mit blauer, straffer See. Für die Winterstürme war es noch zu früh. Die Touristen, die jetzt kamen, genossen die eingekehrte Ruhe, fern von den Gruppen, die sich den ganzen Sommer lang wie an Drähten gezogen durch die Straßen bewegten. Im Frühherbst trat der verwegene Zauber der Landschaft deutlicher hervor, alles schien

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