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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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die ganze Nacht auf die Morgendämmerung gewartet hätte. Ich legte die Finger auf die Lippen.
    »Leise!«, flüsterte ich ihr zu, bevor ich das Bett verließ; mir war, als hätte ich Bleigewichte an den Füßen. Seltsam: Das Meeresrauschen war noch da, in meinen Ohren. Als ich an das offene Fenster trat, hörte ich es deutlicher. Der Wind kam von Südosten, brachte hohen Seegang. Schlugen die Wellen an die Klippen, hörte man es bisweilen in diesem Stadtviertel. Giovanni regte sich nicht, sein Gesicht war gegen die Wand gedreht. Beim Anblick seiner dunklen Gestalt, vertraut und doch so fremd, empfand ich eine seltsame Rührung, eine Schwere ums Herz, ein Würgen in der Kehle. Leise ging ich ins Badezimmer, duschte mich, und als ich mit nassen Füßen in den Wohnraum kam, saß Kenza in vorwurfsvoller Stille vor der Tür. Zuerst also Kenza. Ich reinigte und füllte ihre Schälchen neu, während sie um meine Beine strich. Als sie zufrieden knabberte, machte ich das Frühstück bereit, presste frischen Orangensaft, kochte Eier, mischte Salat. Beinahe, als ob wir verheiratet wären, ging es mir durch den Kopf. Mir fiel auf, dass ich dabei lächelte. Das Radio stellte ich nicht an, damit Giovanni ruhig weiterschlafen konnte. Ich trank meinen Kaffee, löffelte zwei Joghurte, strich Butter und Marmelade auf meinen Toast. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es schon
zwanzig vor sieben war. Ich deckte rasch den Tisch für Giovanni, dann zog ich mich an, kämmte mich und verdeckte mit etwas Make-up die Spuren der durchwachten Nacht. Dann nahm ich meinen Rucksack und wollte leise nach draußen gehen. Aber kaum ging ich an dem Bett vorbei, da erwachte Giovanni und setzte sich in einer gleitenden Bewegung auf.
    »Musst du gehen? Jetzt schon?«
    Ich setzte mich neben ihn.
    »Ja, es wird Zeit. Es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
    »Gewöhnliche Geräusche höre ich nicht – nur die ungewöhnlichen wecken mich.«
    Ich streichelte ihn, meine Hände glitten über die Spiralen, diese Muster, die er am Körper trug und die etwas über ihn aussagten. Doch mir fiel nicht ein, was es sein könnte. Der Mann, den ich in den Armen hielt, war der Mann, den ich nicht halten konnte; ich hielt nur das Kind, das er einst gewesen war.
    »Schlafe noch ein wenig«, sagte ich.
    Er drückte den Kopf an meinen Arm.
    »Ich werde tun, was du willst.«
    Ich küsste seine warme Haut, die nach Salz und Schlaf schmeckte. Er nahm mich in den Arm, wiegte mich leicht. Wir liebten uns ohne Gesten, Stirn gegen Stirn. Ich war beinahe erschrocken über so viel Liebe.
    »Ich muss gehen«, sagte ich.
    Draußen hatten sich Vögel angesammelt, kreischten und flatterten. Kenza saß vor dem Fenster, den Kopf erhoben, lauschte mit gespitzten Ohren.
    »Kleine Jägerin«, flüsterte Giovanni zärtlich.
    »Gibst du ihr noch etwas Wasser, bevor du gehst?«
    Er nickte. Wir sahen uns an, mit Augen, in denen kein Trost war, nur Angespanntheit und Verzweiflung.
    »Warte«, sagte er.

    Widerwillig löste er sich von mir, fuhr mit der Hand durch sein Haar. Giovanni dachte nach, mit gerunzelter Stirn. Etwas wie Verwirrung war auf seinem Gesicht.
    »Morgen ist Notte Bianca , ja? Wo tritt Viviane auf?«
    »In den Hastings Gardens. Um zehn.«
    »Kommt Peter auch?«
    »Ich habe mit ihm gesprochen. Er will dich sehen.«
    Er machte ein bejahendes Zeichen.
    »Sag ihm, ich werde da sein.«

38. Kapitel
    U m drei war ich am Flughafen. Ich hatte Viviane gemailt, dass ich sie abholen würde. Sie kam erst am Tag ihres Auftritts, weil sie am Abend zuvor noch in Liverpool gewesen war. Das Engagement stand schon seit Langem fest. Liverpool – die Heimat der Beatles – sei wichtig für ihre »Kerle«, sagte Viviane. Sie selbst machte sich nichts mehr daraus. Ich war mit dem Kleinbus des Fremdenverkehrsbüros gekommen, weil die Musiker viel Material bei sich hatten. Der Chauffeur, ein beleibter, freundlicher Mann, wartete geduldig vor dem Wagen und schlug die Zeit tot, indem er sich mit den Taxifahrern unterhielt. Das Flugzeug hatte Verspätung, ich saß nervös im klimatisierten Warteraum, wo das ständige Kommen und Gehen von Flugpersonal und Touristen meine Ungeduld noch steigerte. Draußen war es heiß, bei weißem Himmel und starkem Wind, der die Eukalyptusbäume zerzauste. Schon sank die Sonne, als die Maschine aus London endlich landete. Viviane und ihre Musiker gehörten zu den ersten, die herauskamen. Ich sah Viviane schon von Weitem, sie sah mich auch und winkte mir zu.

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