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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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entspannt im Schoß, und ich bemerkte, dass ihre Schultern etwas zu schmal waren und ihr Mund etwas zu breit, als dass man sie hätte wirklich schön nennen können. Aber das machte nichts; da war etwas anderes, was sie einzigartig machte. Wieder roch ich ihr Parfüm, süß, etwas aufdringlich, geheimnisvoll. Ich beobachtete sie verstohlen, während sie in die Betrachtung der Straßen und Bauwerke versunken war, die in Zeitlupe vorbeizogen. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges hatte man alles neu aufgebaut, und zwar so, dass die Stadt seit Jahrhunderten unberührt erschien. Man hatte dem Alten nicht den Garaus gemacht, sondern es unter dem neuen Putz wieder hervorgeholt. Die Häuser und Paläste sagten: »Wir sind vorgestern, gestern und heute gebaut worden, aber wir gehören zusammen.« Der visuelle Zusammenhalt stimmte. Dieses wache Verhältnis zur Vergangenheit war es, was Malta so besonders machte, und ich hatte es oft den Touristen erklärt. Viviane wusste das. Es war ihr egal, dass die Musiker gleichgültig im hinteren Teil des Kleinbusses die Beine ausstreckten, schläfrig nach draußen blickten und gähnten. Neue Eindrücke waren sie gewohnt; sie guckten vorbei, kümmerten sich um nichts, außer um die Kontinuität ihrer Arbeit. Ihr klar strukturiertes Leben bestand aus gemeinsamen Fixpunkten: Abendessen, Vorstellungen, Austausch mit Kollegen – und dann wieder Abreise.
    Ganz anders aber Viviane. Ihre Augen waren ständig in
Bewegung, als wollte sie die Umgebung, in der sie einst gelebt hatte, mit den Blicken einfangen. Vielleicht, dachte ich, fühlte sie sich mit Orten verbunden, an denen ein lebendiger, zeitgemäßer Umgang mit Mythen stattfand. Meine Blicke auf ihr abwesendes Gesicht sagten mir, dass sie sich ihre Kindheit vor Augen rief. Dachte sie dabei an unsere Spiele von früher, an die Zeichen, Omen, Vorbedeutungen und Träume von einst? Ich fühlte mich ihr sehr nahe; ihr Leben und mein Leben hatten einen gemeinsamen Ursprung: diese Insel. Wir – Giovanni, Peter, Viviane und ich – hatten früher einen Knoten gebildet. Viviane war des Knotens Mitte gewesen. Doch der Knoten hatte sich gelöst, jetzt wanderten wir einzeln durchs Leben. Aber bei Viviane war etwas anderes dahinter, was immer das auch sein mochte. Unwillkürlich dachte ich an ihre beunruhigende Mail-Post, die Giovanni betraf. Eine Gänsehaut überlief mich. Ich fragte mich, wann ich den Mut haben würde, mit ihr darüber zu sprechen. Doch es war Viviane, die mir jetzt ihr Gesicht zuwandte, wobei ihre schmale Hand mit dem Aquamarin durch ihr Haar fuhr, das der Fahrtwind zerzauste. Ihre Augen schimmerten mir groß und tränenfeucht entgegen. Aber es war nur das Licht, das sich in ihnen spiegelte.
    »Kommt Peter auch?«
    »Ja, ich habe mit ihm einen Treffpunkt ausgemacht.«
    »Und Giovanni?«
    Ich fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen.
    »Er hat gesagt, dass er kommt. Aber du wirst ihn nicht wiedererkennen.«
    »Oh doch«, sagte sie.
    »Er hat Krach mit seinen Brüdern«, setzte ich steif hinzu. Sie lehnte sich mit ihrem ganzen Oberkörper in den Sitz zurück. Es war, als zöge sie sich in sich selbst zusammen. Ein leichter Schweißfilm überzog ihr Gesicht.
    »Fühlst du dich nicht gut?«, fragte ich, etwas erschrocken.
»Soll der Chauffeur langsamer fahren?« Sie hob matt die Hand, verneinte. Doch ich kannte Viviane aus dem Instinkt heraus. Ihr plötzlicher Stimmungswechsel machte mir Angst.
    »Viviane? Was hast du?«
    Sie drehte den Kopf hin und her, als sei sein Gewicht zu schwer für ihren schmalen Hals. Sie hatte oft diese wiegende Bewegung, die ihr etwas Lauerndes gab. Als sie sprach, klang ihre Stimme schleppend.
    »Die Hitze. Der Klimawechsel. Wenn man das nicht mehr gewohnt ist …«
    Der Tag versprühte seine letzte Glut. Wie so oft in der Abenddämmerung hatte der Wind den Himmel blank gefegt. Nur über dem fernen Meer staute sich eine Wolkenwand.
    »Bist du in Form?«, fragte ich, immerhin etwas beruhigt. »Kannst du überhaupt singen?«
    Sie schien die Frage nicht gehört zu haben. Es dauerte eine kleine Weile, bis sie wieder bei der Sache war. Unvermittelt fand sie aus ihrer Verzückung heraus, kratzte sich ziemlich heftig am Hinterkopf und sagte ganz nüchtern:
    »Ja, wieso denn nicht? Ich werde zwei Kaffee trinken und um zehn eine tolle Show zeigen.«
    Dabei lachte sie ein wenig überdreht, was mich allemal beruhigte. Viviane war ein Profi und mit allen Wassern gewaschen. Sie verließ sich nie auf

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