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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Ich klimpere nur ein wenig, wenn ich komponiere. Aber dazu ist ein Cembalo nicht da. Grandpa sagt, die Musik soll eine Geschichte erzählen. Ich gebe mir also Mühe. Schließlich will ich ihm ja eine Freude machen.«
    Wir sprachen über die Verstorbenen, als ob sie noch lebten. Das war schon früher so gewesen.
    »Und deine Großmutter, hört sie auch zu, wenn du spielst?«
    »Lavinia? Die geht immer auf und ab, durch alle Zimmer. Das ist auf die Dauer ermüdend. Ich sage ihr manchmal: ›Ich bitte dich, Großmutter, bleib doch endlich mal sitzen!‹ Aber sie schüttelt nur den Kopf und lächelt. Grandpa hat mir erzählt, dass sie immer einen großen Bewegungsdrang hatte. Sie ist geritten, geschwommen, hat Tennis gespielt. Und im Winter ging sie Skifahren und Schlittschuhlaufen. Grandpa vergötterte sie. Er selbst machte nie mit, saß nur da, trank Cola und schaute ihr zu. ›No sports‹, sagte er, ›wie Winston Churchill. ‹ Aber er konnte ziemlich gut reiten.«
    Sie mischte Gin mit Zucker und Grapefruitsaft, den sie aus
der Küche holte. Dann kam sie zurück, ließ sich neben mir auf das Sofa plumpsen. Das Sofa war mit gelbem Brokat bezogen, die Kissen waren schwarz, mit einer Goldborte und Troddeln. In der Londoner Kälte trug Viviane nur ein Unterhemd, das ihre Brustwarzen zeigte, Leggins aus schwarzem Leder und einen indianischen Concha-Gürtel.
    »Cheers!«, sagte sie.
    Wir tranken, bevor Viviane mit dem Kinn auf das Bild ihres Großvaters wies.
    »Als ich ihn zum ersten Mal traf, war er enorm dick. Und dann starb er an Krebs. Wenn du ihn zuletzt gesehen hättest …«
    »Schlimm?«
    Sie ließ ihre Eiswürfel kreisen.
    »Ja, sehr schlimm. Die Speiseröhre. Zum Schluss wurde er nur noch intravenös ernährt.«
    Viviane redete über alle Maßen kühl, wie sie es immer tat.
    »Grandpa war sehr klar im Kopf. Er saß schon im Rollstuhl, als wir einen Termin beim Notar hatten. Grandpa gab ihm ganz genaue Anweisungen. Miranda bekam den ›Taubenschlag‹, unser Gut bei Old Sarum. ›Sie kann damit machen, was sie will‹, sagte er. Mir vermachte er das Grundstück, das Haus und einen Teil des Bargelds. Der Rest ging an eine Stiftung. Das war’s dann.«
    Miranda hatte zwei Brüder gehabt, Irwin und Robert, die in Afrika ums Leben gekommen waren. Viviane sagte, dass sie die Einzelheiten erst von ihrem Grandpa erzählt bekam: Die beiden Söhne lebten mit ihren Familien im ehemaligen Rhodesien, wo sie Plantagen bewirtschafteten: Kakaobohnen und Kaffee. Als in Rhodesien die Unruhen ausbrachen, umzingelten Aufständische das Haus, überwältigten die Wachen und schlugen alle Bewohner mit Macheten tot.
    »Ganz zerstückelt waren sie«, sagte Viviane, »sogar die Babys. Ein Fuß hier, ein Arm dort. Die Aufständischen plünderten
das Haus und steckten es in Brand. Heute liegen die Plantagen brach, überall wächst Urwald.«
    Sie kauerte sich in ihrem Sessel zusammen – eine Art Fötushaltung, ging mir durch den Kopf. Ich starrte in ihre Augen, die von Schatten umwölkt waren, und spürte ein Frösteln.
    Viviane fand plötzlich aus ihrer Verzückung heraus, nahm einen kräftigen Schluck.
    »Das Schicksal hat seine eigene Logik. Grandpa war Parlamentsmitglied, hatte alles, was man sich wünschen kann: Klugheit, Einfluss, viel Geld. Aber immer wieder passierte etwas Schreckliches in seinem Leben. Und am Ende hatte er keine Kraft mehr.«
    Ich nippte an meinem Gin, der zu stark war. Ich fühlte mich schwer in den Gliedern, und mir war flau im Magen. Viviane sprach weiter illusionslos und sanft.
    »Weißt du, Miranda hatte mir immer gesagt, Grandpa sei eine Art Monster. Als er mir schrieb, dass er mich sehen wollte, war ich total in Panik. Und dann kam alles ganz anders. Mit Grandpa konnte ich reden, wie ich es mit Miranda nie gekonnt hatte. Miranda hörte nie zu, erzählte nur ihren eigenen Kram, lauter Unsinn. Wenn es mir zu bunt wurde, sagte ich: ›Und in der Mitte saß eine riesige Spinne!‹ Das sagte ich einfach nur so, um ihren Redefluss zu stoppen. Sie hörte dann auch wirklich auf und starrte mich an, völlig aus der Fassung gebracht. ›Wo siehst du eine Spinne?‹ Im Gegensatz zu ihr war Grandpa einer, der wirklich zuhören konnte. Er sagte: ›Jeder nimmt und gibt! Aber du darfst nur so viel geben, wie deine Kraft es zulässt.‹ Das leuchtete mir ein. Grandpa stand mir viel näher als Miranda, die einen Irokesenkamm und Piercings trug, da, wo man sie nicht vermutete. Glotz nicht so, Alessa, du weißt genau, was

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