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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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gemocht.«
    Viviane warf mir einen Seitenblick zu, schlug einen lauten Akkord.
    »Shit!«, sagte sie. »Du kommst nicht von ihm los!«
    Ich wollte trinken. Meine Zähne schlugen gegen den Rand des Glases. Wie ist es, dachte ich, wenn man im Zentrum der Welt eines anderen ist? Wenn man ein anderes Wesen in sich spürt? Wenn einer die Haut ist, der andere das Gefühl? Man kann nicht zwei Menschen in sich haben, aber einer kann am Rücken des anderen wachsen, dicht an seiner Wirbelsäule, im Fruchtwasser. Man kann neun Monate mit ihm vereint sein und dann ins Leben gestoßen werden, allein. Und ihn dann eines Tages wiederfinden, in anderer Gestalt. Früher hatte ich das fest geglaubt. Vielleicht hätte der gesunde Menschenverstand mir heute sagen sollen, das sei nicht möglich. Aber ich hatte in Giovanni etwas gesehen, das zu mir gehörte, ich ging in ihm auf. »Du weißt doch«, sagte ich zu Viviane, »dass ich einen toten Zwillingsbruder habe?«
    Sie zog die Brauen hoch.
    »Tomaso?«
    Ich nickte.
    »Als ich Giovanni zum ersten Mal sah, entsprach er genau dem Bild, das ich mir von Tomaso gemacht hatte. Ich sah und
spürte es augenblicklich. Wenn ich daran denke, schnürt es mir noch heute die Kehle zu …«
    Sie sah mich von der Seite an, einen Ellbogen auf den Deckel gestützt. Durch die kunstvoll angebrachten Löcher sah man ihre bloßen Füße mit den kräftigen, rot gelackten Zehen.
    »Giovanni, ach ja!«, seufzte sie. »Er brauchte einen Schutzengel.«
    »Er hatte einen«, sagte ich.
    »Er kam zu spät.«
    Ich nickte beklommen.
    »Es war unsere Schuld.«
    »Nein«, sagte sie. »Wenn etwas in den Sternen steht …«
    Ein Frösteln überlief mich. Der große Raum war nicht geheizt, überall war Luftzug, weil die alten Fenster nicht gut abgedichtet waren.
    »Wie meinst du das?«, fragte ich. »Und außerdem: Wo lag bei uns der Unterschied zwischen Erfahrung und Einbildungskraft? Kannst du mir das sagen?«
    »Ich meine, es gab keinen«, sagte Viviane. »Und ich denke, dass in irgendeiner verdrehten Art alles vermischt war. Sozusagen vorprogrammiert. Und wenn das so ist, kann eben nichts mehr geändert werden.«
    »Wirklich nichts?«
    Sie ließ ihre Finger über die Tasten gleiten.
    »Es sei denn, man ist sehr stark. Aber dann auch nicht immer.«
    Auf die Dauer hatte der Gin eine entspannende Wirkung. Viviane sagte nichts mehr, ließ ihre Finger über die Tasten gleiten, suchte eine neue Melodie. Schließlich brach ich das Schweigen.
    »Wenn ich heute über alles nachdenke, muss ich mir sagen, dass Giovanni als Priester ein unglückliches Leben geführt hätte.«
    Viviane antwortete nicht sogleich, spielte einige Akkorde,
geistesabwesend, bis sich die Melodie, sanft, einfach und zärtlich, wie von selbst einstellte. Und irgendetwas in meiner Brust tat mir weh, als ich die Melodie erkannte: Es war das Requiem von Fauré, das Wiegenlied. Und während ihre Finger behutsam die Tasten berührten, sagte Viviane, ohne das Gesicht zu heben und wie zu sich selbst:
    »Religion ist im Grunde etwas sehr Gewalttätiges. Wer dazu gezwungen wird, an einen zornigen Gott im Himmel zu glauben, muss zwangsläufig unglücklich werden.«

9. Kapitel
    I ch entsinne mich, was für ein schlechtes Gewissen ich hatte, als Vater die kleine Tonfigur an sich nahm. Sie gehörte ja nicht mir, sondern Giovanni. Jedenfalls wurde es ein langer, unangenehmer Tag. Als Vater abends nach Hause kam, war meine erste bange Frage an ihn, was sein Freund denn über die heilige Puppe gesagt hatte. Als Antwort kam ein gereizter Blick.
    »Hör auf, die Figur eine heilige Puppe zu nennen! Sie ist weder eine Puppe noch heilig. Ralph wird den Fund mit der Museumskommission untersuchen. Inzwischen wäre mir lieb, wenn du, statt in Löchern zu wühlen, dich vermehrt um deine Hausaufgaben kümmern würdest. Im letzten Quartal ließen deine Leistungen zu wünschen übrig. Aber das weißt du ja selbst.«
    Es war das typische Geschwätz der Erwachsenen. Die meiste Zeit rauschten solche Gemeinplätze einfach an mir vorbei. Es gab zu viele andere Dinge, die mich beschäftigten. Dass ich die heilige Puppe nicht mehr hatte, verschwieg ich den anderen einstweilen, war ich doch fest davon überzeugt, dass sich – mit ein bisschen Geduld – rundweg alles zum Guten wenden würde. Ostern lag in diesem Jahr sehr spät – fast Ende April. In der Karwoche wurden Passionsspiele aufgeführt, die Leute fielen auf die Knie, wenn Jesus, gebückt unter der Last des Kreuzes und eskortiert

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