Mondtaenzerin
einem Kreidestrich. Verstecktes, nicht offen Ausgesprochenes, beschäftigte uns unentwegt; die Erwachsenen sprachen ja nie darüber. Ihr Schweigen erfüllte uns mit Neugier, Unruhe und Streitsucht. Die Macht des Geschlechts ist ein mächtiger Impuls. Peter war plötzlich knallrot im Gesicht.
»Das ist eine Schweinerei!«
»Du hast mich doch gefragt«, sagte Giovanni.
Beide wurden auf einmal aggressiv. Vivi kicherte überdreht. Vivi hatte Spaß an solchen Szenen. Sie legte den Kopf auf die Seite, zog an ihrer Schleife.
»Und ein Mädchen? Hast du nie ein Mädchen geküsst?«
Sie provozierte ihn ungeschickt. Er sah an ihr vorbei, lachte verlegen auf.
»Nein, noch nie!«
»Ich bringe dir bei, wie man das macht«, sagte Vivi feierlich. »Du darfst mich jetzt küssen.« Sie neigte sich zu ihm, spitzte die Lippen. Ich versteifte mich unwillkürlich. Ihre Koketterie bildete plötzlich einen Graben zwischen uns. Ich fühlte mich einsam und traurig. Giovanni wand sich vor Verlegenheit.
»Du meinst, wie die Erwachsenen es tun?«
»Was ist denn dabei?«, fragte Vivi.
Giovannis Blick glitt rasch zu mir hinüber. Ich rührte mich nicht und starrte beide an, als sie ihre Gesichter einander näherten. Sie zog ihn an den Schultern zu sich, öffnete weit die Lippen, und unwillkürlich tat es ihr Giovanni nach. Er presste die Zunge in ihren Mund. Das dauerte, das dauerte eine ganze Weile. Ich ballte die Fäuste, bis es eine kleine Explosion in mir gab und ich Vivi einen Stoß versetzte, der sie zurückwarf.
»Aufhören!«, schrie ich. »Sofort aufhören. Jetzt bin ich an der Reihe!«
Vivi warf ihr nasses Haar aus dem Gesicht, krümmte sich vor Lachen, und Peter saß da wie ein Ölgötze. Giovanni sah mich an, mit einem langen, dunklen Blick.
»Nun mach schon!«, befahl ich.
Er umfasste meinen Hals, und ich spürte seine Zunge in meinem Mund, das lebendige, zuckende Fleisch. Ich fühlte Giovannis warmen Atem und schloss die Augen. Giovannis Lippen waren fest, mit einem Salzgeschmack. Noch heute rufe ich mir oft diesen Augenblick ins Gedächtnis, obwohl die Bilder verschwommen, nebelhaft werden und die Eindrücke sich verwischen. Aber Giovanni kann ich nicht vergessen, auch nicht den warmen, salzigen Duft seiner Haut. Ich weiß, dass alles einmal Wirklichkeit war. Und auch, dass ich mir in diesem Augenblick plötzlich viel älter vorkam, als hätte ich ganz viele zukünftige Jahre erlebt und sei – als unsere Lippen sich voneinander lösten – ebenso eilig wieder in meine wirkliche Daseinsstufe zurückgeschnellt. Und ich entsinne mich auch an das seltsame Kribbeln im Unterleib und an Peters überdrehte Stimme, die an meinen Ohren schrie: »Jetzt aber Schluss! Das ist ja peinlich!«
Giovanni und ich knieten Brust an Brust; ich blickte überrascht zu Peter hinüber. Er war mit schamrotem Gesicht aufgesprungen, sein Atem ging heftig, und ich sah, dass seine Unterhose plötzlich eine seltsame Beule aufwies. Ich starrte ihn fassungslos an. Doch bevor ich etwas sagen konnte, ließ sich Vivi auf den nassen Sand fallen. Ihr schrilles Lachen brach auf, verhallte, setzte wieder ein, ihr dünner Körper war davon geschüttelt, und man sah das helle Rosa ihres Mundes, während sie vor Vergnügen mit beiden Fäusten auf den Boden hämmerte.
»Oh, oh, das ist wirklich zu komisch!«
Peters Zorn brach los. Er schrie Vivi an: »Du dumme Ziege,
du!« Er stieß mit dem Fuß nach ihr, traf ins Leere, weil Vivi sich hin und her rollte, mit hochgezogenen Knien, und vor Lachen kaum atmen konnte. Unvermittelt drehte Peter sich um und rannte davon, den Strand entlang.
»Was hat er?«, stammelte ich. »Warum ist er so wütend?«
»Weißt du das nicht?« Vivis Gelächter ließ ein wenig nach, um gleich danach wieder anzuschwellen. Sie kreischte vor Lachen, als ob sie kurz vor einem Anfall stand.
»Hör auf! Worüber redest du eigentlich?«, fragte ich wütend.
Vivi antwortete atemlos und prustend.
»Die Jungen kriegen sofort einen harten Schwanz, wenn sie Mädchen küssen. Sonst könnten sie ja nicht mit ihnen ficken. Das hat mir meine Mutter gesagt.«
Ich schluckte. Ich fand Vivis Worte aufdringlich und brutal. Giovanni lag auf dem Bauch, das Gesicht in den Sand gepresst. Er rührte sich nicht, ich sah nur sein schwarzes, mit Sand vermischtes Haar und seinen gebräunten Rücken, der leicht bebte. Vivi rüttelte ihn an den Schultern.
»He, Giovanni, ist dein Schwanz auch hart geworden? Zeig her, los!« Sie schlug ihn mit beiden
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