Mondtaenzerin
Seetang schmeckte wie Wassermelonen. Dann lagen wir ermattet im Sand, ließen uns von der Sonne wärmen. Zwischen der Kindheit und dem Erwachsenwerden liegen ein paar Jahre; es sind – aber wir merken es erst später – vielleicht die schönsten. Eine merkwürdige Leichtigkeit prägte unser Zusammensein, alles, was unerträglich in den Augen der Erwachsenen sein mochte, war für uns natürlich. Wir lebten mit gesteigerten Gefühlen und wussten es nicht. Wir tauschten Geheimnisse, die mit uns, mit unseren Körpern und den Körpern der Erwachsenen zu tun hatten. Vivi sagte: »Meine Mama trägt keinen. Im Sommer nicht.«
»Was trägt sie nicht?«, wollte Peter wissen.
»Einen Slip, du Idiot!«
»Woher weißt du das?«, fragte ich.
»Sie trägt Shorts. Glaubst du, man sieht es nicht, wenn sie sich bückt?«
»Vor allen Leuten?«
»Das ist ihr egal.«
»Ich glaube es nicht«, sagte Giovanni.
»Doch, und sie riecht komisch.«
Wir kicherten.
»Wonach riecht sie denn? Nun sag es doch, Vivi!«
Ihre Augen bekamen einen seltsamen Ausdruck.
»Ich weiß es nicht.«
Das war interessant. Wir forschten weiter.
»Nach … Pisse?«, fragte ich.
Ein zweifelndes Kopfschütteln. »Nein, nicht nach Pisse.«
»Nach Knoblauch?«, fragte Peter.
»Auch nicht nach Knoblauch.«
»Nach Dope?«
Ich hatte keine Ahnung, wie Dope roch, aber Vivi musste es ja wissen.
»Nein, auch nicht.«
Sie schien plötzlich ein wenig verwirrt, weil sie davon geredet hatte, und wandte sich rasch an Giovanni:
»Hast du deine Mutter nie nackt gesehen?«
Giovanni wurde rot.
»Nein, niemals! Sie hat immer Strümpfe an.«
»Auch im Sommer?«
»Ja, sie hat blaue Adern an den Beinen, so dick wie mein Daumen.«
Peter, der Arztsohn, nickte wissend.
»Krampfadern.«
»Tun die weh?«, fragte ich.
»Sie redet nicht davon«, sagte Giovanni.
»Aber das heißt nicht, dass sie ihr nicht wehtun«, sagte Peter.
»Und deine Schwestern?«, fragte Vivi. »Hast du sie nie nackt gesehen?«
»Doch. Meine Schwester Chiara. Sie … sie probierte Unterwäsche an.«
Allgemeines Kichern.
»Weiß sie, dass du sie gesehen hast?«
»Nein, ich habe durchs Loch geguckt!«
Wir kreischten vor Lachen.
»Du bist ganz schön durchgedreht, du Lochgucker!«
Giovanni zog verlegen den Kopf ein.
»Wir haben auch Fernsehen. Spätabends, da sieht man Frauen, die sich nackt ausziehen. Meine Brüder gucken sich das an.«
»Du auch?«
Er zog die Schultern hoch.
»Manchmal. Aber wenn die Frauen anfangen, mit Männern zu spielen, kommt Großmutter und zerrt mich weg. ›Geh zu Bett, sonst musst du beichten‹, schimpft sie.«
»Wie spielen sie denn mit Männern?«
»Ach, die Männer kriechen auf sie, oder sie kriechen auf die Männer.«
»Ich habe meine Eltern im Schlafzimmer gesehen«, erzählte Vivi gleichmütig. »Sie schließen die Türen nie ab. Und ein paarmal sah ich Miranda, wie sie nackt auf Alexis saß.«
Wir hörten fasziniert zu. Das war neu und aufregend.
»Was haben sie denn gemacht?«, erkundigte sich Peter nervös.
»Gefickt natürlich«, sagte Vivi achselzuckend.
Peter schwieg daraufhin, und ich fragte Vivi:
»Haben sie dich gesehen?«
Sie hielt sich die Hand vor dem Mund.
»Nicht gleich. Aber nach einer Weile schon.«
»Und dann?«
»Dann hat Alexis gesagt: ›Vivi, lass uns mal einen Augenblick in Ruhe.‹ Er hat sich irgendwie geniert, Miranda nicht; die hat so gelacht, dass sie nicht aufhören konnte.«
Kurze Stille, die Peter verlegen brach.
»Ich habe das nur im Kino gesehen.«
»Alles?«, fragte ich.
»Na ja, sie lagen im Bett. Aber sie haben nicht alles gemacht.« Ich lachte, und er zog verlegen den Kopf ein. »Und du?«, fragte er Giovanni, der zögernd Antwort gab.
»Unsere Hunde tun das, und auch die Esel. Wenn meine Mutter sie dabei ertappt, wirft sie Steine, und sie rennen auseinander. Das sieht komisch aus, weil sie noch nicht fertig sind.«
Wir starrten ihn an. Alle unsere Nerven schienen dabei zu vibrieren. »Aber das ist doch wirklich etwas anderes!« Peter wurde plötzlich wütend. »Und du solltest dich schämen, so zu reden!«
Giovanni sah verdutzt aus wie einer, der nicht weiß, was er Falsches gesagt hat.
»Ja, das ist doch so. Mimmo hat das ein paarmal auch mit
mir versucht, aber ich habe mich immer gewehrt. Und danach durfte ich bei Großmutter schlafen.«
Wir schwiegen ziemlich fassungslos. Wir berührten Dinge, die im Dunkeln sind, gefangen gehalten, und standen davor wie die sprichwörtlichen Hühner vor
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