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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Körper war weiß, durchtrainiert, gespannt und geschmeidig. Es gab keine innere Ruhe in Vivianes Leben. Oder täuschten wir uns? – Sie war eben undurchschaubar.
    »Die Mutter ohne Slip … weißt du noch?«, sagte Peter. »Ich war total überfordert. Wie hätte es auch anders sein können, mit meinen Eltern, diesen Weihwasserkröten!«
    Noch heute, wenn Peter über seine Eltern sprach, ließ er den Eindruck aufkommen, er zeichne bittere Karikaturen von ihnen. Aber Zynismus war wohl allen Einsamen eigen.
    »Und Vivi machte verrückte Sachen und sah immer überdreht aus«, fuhr er fort. »Sie war schon als Kind besonders.«
    »Sexy, willst du sagen?«
    Wir tranken abwechselnd aus der Wasserflasche.
    »Obwohl ich das nie so empfand.« Peter wischte sich über die nassen Lippen. »Ich war eifersüchtig, verstehst du, dass sie sich an Giovanni heranmachte.«
    »Warst du in Giovanni verliebt?«
    Er nickte unfroh. Es fiel ihm noch heute schwer, darüber zu sprechen.
    »Eine homoerotische Neigung, ich kann’s ja zugeben. Ich meine… jeder Junge macht das mal durch, lebt es dann und wann aus. Ich habe ein paar Geschichten mit Jungen gehabt, hatte immer Schuldgefühle dabei, das Empfinden, etwas Verbotenes zu tun. Damals dachte ich wirklich…, dass mit mir irgendetwas völlig verkehrt war. Ein Junge verliebt sich in ein Mädchen, nicht in einen anderen Jungen.«
    Ich antwortete sachlich:
    »Im alten Griechenland war das normal. Die Frau für die Fortpflanzung, der Knabe für die Lust. Praktisch, nicht wahr?«

    »Heute verstehe ich das«, sagte Peter. »Aber als Junge kam ich mir wie ein Monstrum vor.«
    »Du warst ein kleiner Moralist.«
    Er lächelte flüchtig.
    »Aber ich habe mitgemacht.«
    Ich reichte ihm die Flasche.
    »Ja, das hast du. Bereust du es?«
    »Jetzt nicht mehr. Mich mit einem erwachsenen Mann auf eine sexuelle Handlung einzulassen, habe ich immer als abstoßend empfunden. Aber es mit einem anderen Jungen zu tun, schien mir irgendwie … logisch.«
    »Logisch?«
    Er nickte düster.
    »Ja, aber an Giovanni war ja nicht ranzukommen. Er war ja ganz versessen auf dich. Und das, was ich für ihn empfand, war wohl seinen Gefühlen für dich nachgebildet. Aber während ich mich einsam und unverstanden fühlte und wirklich litt, sah Giovanni entspannt und glücklich aus. Tja, wie immer hatte ich das Nachsehen. Noch heute verzeihe ich ihm nicht, dass er mich dermaßen provozierte.«
    »In voller Unschuld«, sagte ich. »Hättest du es ihm gesagt, wäre er aus allen Wolken gefallen.«
    »Ja, das machte die Sache noch schlimmer. Ich war immer wütend auf Giovanni, obgleich er ja nichts dafür konnte und ich von ihm träumte. Genauso, wie ich als kleiner Junge von Tarzan oder Prinz Eisenherz träumte.«
    »Merkwürdig. Du auch?«
    Peter nickte.
    »Ich fand, Giovanni sah so ein bisschen wie Prinz Eisenherz aus. Und ich selbst fand mich schäbig.«
    Peter war kurzsichtig und trug schon damals eine Brille aus Nickel. Später verlieh ihm seine Hornbrille einen markanten Ausdruck, aber damals hatte sein Gesicht noch keine feste Form angenommen. Früher lagen hinter der Brille, die
bereits Grünspan aufwies (er putzte sie immer sehr nachlässig), scheue Jungenaugen, die einen nicht geradeaus ansahen, sondern immer ein wenig von der Seite. Peter hatte nie die Gabe besessen, sich darzustellen; er war von uns der Abgewandte, der In-sich-Gekehrte. Und dass er sich in die Miniaturausgabe eines Leoparden verlieben konnte, verunsicherte ihn zutiefst. An das Aussehen von Menschen, die man in der Kindheit gekannt hat, kann man sich nur selten erinnern. Aber Giovanni war schöner als irgendein Junge, den ich seitdem gekannt hatte, und es traf mich umso wehmütiger, dass Peter es genauso empfand. Giovannis Art zu gehen, zu lächeln, sich zu bewegen – alles war gleichsam unschuldig und erotisch. Wie in aller Welt erklärten wir uns damals die Faszination seiner körperlichen Erscheinung? Wir erklärten sie uns nicht, wir nahmen sie lediglich zur Kenntnis. Ich war Peter nicht im Geringsten böse. Es reichte völlig, dass er – auf seine Art – das Gleiche empfunden hatte, und wir konnten einander ohne Scheu in die Augen sehen. Es gab eine Sache, die ich Peter allerdings nicht sagen konnte: dass ich, vielleicht gerade aus diesem Grund, mich zu ihm hingezogen fühlte. Und was Peter betraf … wer weiß? Auch das war etwas, worüber wir nicht sprachen. Auch jetzt nicht. Ich sagte lediglich: »Es war schön, damals. Weißt du

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