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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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als das, wofür man es hält. Ach, was hatte ich in Giovannis Augen gesehen, eine beunruhigende Trübung oder bereits die kommenden Schatten, das Vorgefühl einer Angst?
Die Zukunft bewegte sich lautlos, wie sie es für gewöhnlich tut.
    Und in der Zeit, von der zwischen Peter und mir die Rede war, geschah einiges in Hal Saflieni. Nach Jahren der Vernachlässigung sollten die Grabkammern der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden. Die unterirdische Tempelanlage zog Archäologen und Historiker an, Berichte erschienen in der lokalen und internationalen Presse, Sendungen wurden im Fernsehen gezeigt. Als die Baugenehmigungen erteilt waren, ging alles ziemlich schnell. Man schuf ein Museum, einen Multimediaraum. Anstelle der Leitern führt heute eine Wendeltreppe aus Stahl von der Oberfläche bis zum zweiten Stock. Eine aufwendige Lichtanlage beleuchtet die verschiedenen Kammern, bevor eine Anzahl Steinstufen abwärts zum dritten Stock und zu einer schmalen Brücke führen, die sich von Besuchern nur einzeln betreten lässt. Die Touristen ziehen den Kopf unter den wuchtigen Steinbogen ein. Man zeigt ihnen die Kammern der Priesterinnen, den Orakelraum mit seinem vielfältigen Echo. Führe ich selbst Besucher hinab, erkläre ich, dass der Tempel fortwährend renoviert wird, dass die Temperatur konstant bleiben muss, damit keine feuchte Atemluft die Malereien und Symbole beschädigt. Mein Mund spricht die Worte, während meine Augen bemerken, wie Ocker und Schwarz unaufhörlich verblassen, wie sich die Spiralen vor dem Licht in die Mauer zurückziehen. Einst tänzelten wir über Stege durch kapellenartige Räume, balancierten über Abgründe hinweg, von denen wir nicht einmal wussten, dass sie vorhanden waren: Das Licht der Taschenlampe reichte nicht aus, um sie ganz zu beleuchten. Jeder Raum war eine Falle, es gab Treppen, die in Gruben führten oder ins Nichts. Heute, da ich die Gefahren schaudernd ermesse, frage ich mich, welche magische Kraft es wollte, dass wir unversehrt blieben.
    Ich finde mich damit ab, dass die Tempelanlage in Pawla-Square ein begehrtes Ziel für Touristen wurde, die gelegentlich
historisch interessiert, meistens aber nur sensationslüstern sind. Zu der Zeit aber, als die Stätte ausgebaut und renoviert wurde, gingen wir noch zur Schule. Vivi erregte Anstoß mit ihren rot gefärbten Haaren, und Peter wurde eine stärkere Brille verschrieben. Sein Vater wollte, dass es eine gute und teure war; sie kauften ihm ein Horngestell, das in der Hitze schnell brüchig wurde. Peter hasste die Brille, die seinem empfindsamen Gesicht einen frühzeitig gealterten Ausdruck gab und immer mit Sand verschmiert war. Hinter den Gläsern richtete sich sein vergrößerter, scheuer Blick immer wieder auf Giovanni, der ja seit diesem Jahr die gleiche Klasse besuchte. Giovanni zog aus den Unterrichtsstunden größeren Nutzen als wir, denn er gab sich mehr Mühe, wollte er doch Don Antonino nicht enttäuschen, den gütigen Onkel, der ihn aus einem unglaublich kümmerlichen und brutalen Leben gerettet hatte. Giovanni sprach immer wieder von ihm, und bruchstückweise reimte ich mir einiges zusammen. Don Antonino hatte ich ja nur einmal gesehen, als er Giovanni im Krankenhaus besuchte, und ich erinnerte mich an seine strengen Züge, an seine Erscheinung, jugendlich, feierlich und düster zugleich. Ich wurde aus ihm nicht klug, aber Giovanni erzählte, dass er Rhetorik studiert hatte und Latein – die Sprache Ciceros – sowie Griechisch – die Sprache Sokrates’ – beherrschte. Auf Giovanni war er aufmerksam geworden, als seine Kusine Santuzza, diese bedauernswerte Kreatur, ihn zur Beerdigung ihres letzten behinderten Kindes rufen ließ. Giovanni ließ dabei durchblicken, dass der frühe Tod des Kindes vielleicht nicht nur der Lungenentzündung zuzuschreiben war, der es angeblich zum Opfer gefallen war. Don Antonino wusste, dass die Familie zu der übelsten Sorte gehörte, dass die Töchter ein liederliches Leben führten und die Söhne, die alle wie Afrikaner aussahen, mit blendend weißen Zähnen unter ungepflegten Bärten, ein schlimmes Pack waren. Pater Antonino mochte sich an diesem schmutzigen, unzivilisierten
Ort sehr unbehaglich und trotz seiner Soutane nahezu bedroht fühlen. Die buschigen Brauen, die dicken, blutroten Lippen des Sippenoberhaupts flößten ihm ebenfalls Angst ein. Emilios Hass gegen die Gesellschaft wurzelte tief: Er war durch seine Frau reich geworden, aber jeder spuckte vor ihm aus,

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