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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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weil er schlechte Manieren hatte. Don Antonino mochte bemerkt haben, dass der jüngste Sohn – Giovanni – ganz anders war, dass er fehl am Platz erschien, unglücklich und einsam in dieser gewaltbereiten Familie. Giovanni erzählte: »Als Don Antonino mich fragte, was denn mein größter Wunsch sei, sagte ich: ›Ein Buch lesen können.‹ Daraufhin verpasste mir mein Bruder Marco einen Fußtritt. ›Hinaus mit dir, Taugenichts! Geh und melke die Ziegen, du Bettler!‹«
    Ich hörte Giovanni zu und war erschüttert.
    Diese Leute besaßen noch in vollem Maße das alte Vorurteil, nach dem jeder gebildete Mensch verächtlicher ist als die Viehhirten und die Tagelöhner. Denn was war ein Gebildeter, wenn nicht ein Weichling?
    Giovanni hatte nie geglaubt, dass von Don Antonino Hilfe kommen könnte. Doch er kam des Öfteren und unterhielt sich mit ihm. Don Antonino war für ihn fast wie ein Heiliger. Wenn er an der Tür erschien, war es für Giovanni, als ob die Sonne aufging. Die Besuche des Priesters wurden nicht gern gesehen; nur Santuzza bemühte sich sehr, mit ihren dürftigen Vorräten eine schmackhafte Mahlzeit zu bereiten. Versuchte Don Antonino mit den Brüdern ein freundliches Gespräch anzufangen, beantworteten diese nur mürrisch und einsilbig seine Fragen, und der Alte rauchte seine Zigarette, die abscheulich stank, wobei er sich fragte, was der Priester denn eigentlich im Kopf hatte. Kein Wunder, wurde doch selbst Don Antonino aus dem Wirrwarr der eigenen Gefühle wahrscheinlich nicht klug. Don Antoninio entkam dem Dilemma, indem er einen Entschluss fasste. Er schlug dem Vater vor, für Giovannis Bildung aufzukommen und, falls er das Zeug dazu
hatte, ihn später aufs Priesterseminar zu schicken. Der Alte, der mit den Behörden permanent auf Kriegsfuß stand, erwog blitzschnell Gewinn und Verlust; ein Priester mochte sich nützlicher erweisen als ein Bandit mehr in der Familie. Diese Sorte hatte er ja bereits im Überfluss. Verhielt sich sein priesterlicher Sohn loyal – und Emilio würde schon dafür sorgen, dass man ihm die Zügel straff hielt –, würde er später als Vermittler auf praktische Weise eingesetzt werden können. Der alte Emilio vermied allerdings, jede Art von gierigem Interesse zu zeigen, ging erst nach vorgespieltem Zögern auf den Vorschlag ein, und beide Männer schüttelten sich die Hände, wobei Don Antonino angeekelt die seine schnell zurückzog. Don Antonino schaffte es auch, darauf hinzuwirken, dass Giovanni anständig ernährt wurde und das gleiche Essen wie seine Geschwister bekam, statt nur die Reste, wie bisher. Auch den Brüdern wurde die Lektion erteilt; sie sorgten fortan dafür, dass Giovanni nicht mehr mit Blutergüssen zur Schule ging.
    So ging das eine Zeit lang gut: Giovanni lebte in einem besonderen Universum, in einer Welt eigener, ganz besonderer Erfahrungen. Er sah die offenen Möglichkeiten von Gut und Böse, ohne selbst davon Gebrauch zu machen. Er hatte gelernt, dass Gott nur jene strafte, die aus freien Stücken den bösen Weg einschlugen; instinktiv wusste er, dass es der Fall bei seinen Geschwistern war, aber solange er nicht gezwungen wurde, sie auf diesem Weg zu begleiten, war es nicht seine Sache. Allerdings erwartete er mit Bangen den Herbst, wenn die Zugvögel auf ihrem Weg zwischen Europa und Afrika Zwischenstation auf Malta machten. Es gab noch kein Gesetz, das die Vögel schützte, und Giovannis Brüder zogen, sobald es hell wurde, zur Jagd.
    Sie ballerten einfach los, zum Vergnügen. Fischadler, Falken, Lerchen, Reiher und viele andere Arten fielen ihren Schüssen zum Opfer. Daneben war es auch ein gutes Geschäft für sie: Die größten und schönsten wurden ausgestopft
und als Trophäen an Touristen verkauft. Giovanni blutete das Herz. Auf seinen einsamen Streifzügen fand er haufenweise Hülsen von Schrotpatronen und nicht selten tote oder schwer verletzte Vögel. Er konnte nichts für sie tun. Er verscheuchte die Fliegenschwärme, die an den faulenden Wunden klebten, sah hilflos zu, wie die Tiere qualvoll verendeten. Für die toten grub er ein Loch aus, das ihrer Größe entsprach. Mit zwei dünnen Ästen bastelte er ein kleines Kreuz und rammte es in die lockere Erde. Er bildete einen Kreis mit ein paar Kieseln und steckte einige Blumen in die Mitte. Dann sprach er ein leises Gebet und fühlte sich wohler. An manchen Tagen besuchte er alle Gräber, die er ausgehoben hatte – es waren viele –, und brachte frische Blumen. Die Brüder fingen

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