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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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küssten uns mit einer Art furchtsamer Überraschung, unsere Umarmungen waren ebenso leidenschaftlich wie ungeschickt. Wir befanden uns in jener unwirklichen Zeit, da wir, noch halb in der Kindheit, die Sinnlichkeit wie ein Spiel empfanden, ein verdammt ernstes Spiel allerdings. Wir strebten irgendeine Erfüllung an, von der wir glauben wollten, dass es sie gab, und gleichsam schon wussten, dass sie unerreichbar war. Unsere Liebe war wie ein Schweben zwischen Glückseligkeit und wirklicher, wahrhaftiger Angst. Denn wir spürten – wie junge Menschen es spüren mögen –, dass unsere Liebe in Gefahr war. Mit Sicherheit war ein schemenhaft Bösartiges da, etwas
sehr Widerwärtiges, das Lichtlose selbst. Und auch das war nicht eindeutig gewiss.
    Um diese Zeit, nach der Schule, stand die Sonne bereits schräg. Jenseits der Schattenlinie der Klippen war das glitzernde Meer azurblau. Die Brandung schlug an die Steine und sog an ihnen; es war, wie wenn Schallwellen andrangen. Wir spürten, wie die Erde im Raum sich um sich selbst drehte und auf ihrer Kruste alle Menschen in ein kommendes Zeitalter trug. Wir umarmten uns in einem Jetzt, das gleich nicht mehr da sein würde, rochen den warmen, gesunden Duft unserer Haut, atmeten den Hauch der Erinnerungen in unserem Haar. Küssten wir uns, war es Wonne und gleichzeitig Ohnmacht, wir fühlten alles und nichts, uns selbst nicht mehr, nichts. Unsere Umarmungen verwandelten sich in Zittern und Verzweiflung, es war, als ob wir innerlich schluchzten. Wir wollten unsere Gefühle bewahren, wenn nur die Blutgefäße sie aushalten konnten! Aber diese Gefühle waren zu mächtig; täten wir es, die Adern würden reißen, und die Leidenschaft würde mit jedem Blutstropfen zerfließen. Das Schicksal, das uns von Geburt an beschieden ist, zeigte uns gleichsam das Maß an Glück und das Maß an Leid, die Grenzen eben, die wir nicht überschreiten können. Das wilde Weinen, das Schluchzen, das uns manchmal grundlos überkam, erstickten wir. Wir feierten das Fest der Sinne, in Schrecken und in Überwältigung, entdeckten jeden Tag etwas Neues an uns.
    »Hast du das gestern auch schon gehabt?«, fragte Giovanni.
    »Was?«
    »Das Muttermal hier an der Brust?«
    »Ja, das hatte ich schon immer.«
    Er legte den Finger auf das Muttermal. Ich blickte auf die Stelle, die er mir zeigte, als sähe ich sie zum ersten Mal.
    »Genau hier, wo dein Herz schlägt.«
    »Das ist eben mein Zeichen. Du hast ja auch eins.«

    Ich berührte mit der Fingerkuppe die Braue mit dem weißen Flaum. »Schwalbenflügel!«, sagte ich leise.
    Er lachte. Wir lachten beide. Schwalbenflügel war der Name, den ich nur flüsternd aussprach, ein Name für uns beide, für den Rest der Welt unbenannt, unbekannt. Zumindest glaubte ich das, bis Peter mich eines Besseren belehrte. Inzwischen lebten wir in einem unklaren Traum, einem Traum, den wir nie zu Ende träumen würden. Wir hielten den Atem an, Leben und Tod sollten stillstehen. Sah ich Giovannis Lächeln, diese Mischung aus Scheu und Übermut, lächelte auch ich. Ich wusste nicht, was er in mir sah, etwas Wunderbares vielleicht? Die Erfüllung? Nein, auch uns würde die Erfüllung nie zuteilwerden, sie gab es ja auch gar nicht in der Liebe. Die Erfüllung ist eine Abstraktion, aber eine Liebe, die nicht das Letzte, das Unmögliche beansprucht, ist keine Liebe. Giovanni und ich waren ein bisschen verrückt.
    Einmal sagte Giovanni, dass er Angst hatte.
    »Wenn man uns trennt und ich nicht mit dir gehen kann, möchte ich lieber sterben.«
    »Du? … Angst? Aber warum denn?«
    »Ich weiß es nicht. Ich bin nur unglücklich.«
    »Komm, lass uns weglaufen! Wir werden schon nicht verhungern.«
    »Wohin sollten wir gehen? Sie würde uns einfangen.«
    »Wer denn?«
    »Die Polizei! Wir würden sofort getrennt werden.«
    »Keiner trennt uns, Giovanni. Sei nicht unglücklich. Mir ist etwas kalt. Wärme mich!«
    Wir merkten kaum, als wir es taten; wir dachten einfach an nichts. Als wir es zum ersten Mal taten, war er ein wenig verwundert. Seine Brüder hatten ihm gesagt, dass Mädchen dabei zu bluten haben. Ich blutete nicht. Er fragte, warum nicht. Ich kicherte an seiner Wange, erzählte ihm von der Sache mit dem Tampon damals. Er kicherte auch.

    »Blutest du oft?«
    »Ein paar Tage im Monat. Ich hasse das.«
    »Das würde mir auch nicht gefallen.«
    Wir erzählten uns alles, was wir dachten und was wir machten und was wir vorhatten. Wir hatten nichts zu verbergen. Trotzdem schämte

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