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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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sich einen Zustand der Isolation, in dem sich ihr Geist seiner Flügel bediente, zum Vollmond stieg und tanzte.
    Inzwischen war Giovanni in unsere Klasse gekommen – der Onkel hatte das bewirkt – und saß in der gleichen Reihe wie Peter. Mein Platz war schräg gegenüber – in den Reihen der Mädchen. Peter beobachtete uns verstohlen, aber weder Giovanni noch ich hatten Augen für ihn, lebten wir doch in unserer eigenen Welt, waren bereits eine Einheit. Dazu kam natürlich die Tatsache, dass ich Giovanni das Leben gerettet hatte, was mir Macht über ihn gab. Eine Macht, die ich auch genoss, war ich doch schon damals – mit dreizehn – ein zu Dominanz neigender Mensch.
    Jahre später sagte mir Peter, er habe nie gemerkt, dass Giovanni und ich uns nach der Schule trafen. Es war ihm erst aufgefallen, als Vivi ihn darauf aufmerksam machte.

    »Du, ich glaube, die beiden bumsen!«, hatte sie gesagt und eine anzügliche Geste dabei gemacht, die Peter noch mehr verstörte. Man hatte ihn zu Prüderie erzogen, die saß ihm tief in den Knochen, und dazu kam jetzt die Eifersucht. Er spürte, dass es zwischen Giovanni und mir etwas gab, das außerhalb seines Gesichtskreises lag. Nein, alles war für Giovanni und mich, und für ihn war nichts. Er blieb auf der Strecke. Wenn Peter sich Giovanni vorstellte, wie er auf mir lag – oder ich auf ihm –, war das nicht bloß eine sexuelle Vorstellung, sondern verursachte Gefühle, die aus einer Schattenwelt kamen und zum Fürchten waren. Will man erwachsen werden, muss man solche Gefühle hinter sich bringen. Aber für Peter waren sie sehr quälend. Wen liebte er mehr? Mich oder Giovanni? Darüber, dass ihm so viel an dem Zusammensein mit mir gelegen war, hatte Peter sich nie vorher Gedanken gemacht. Was ihm am meisten an mir gefiel, war meine Art, Schwierigkeiten nicht auszuweichen oder sie gar auf andere abzuwälzen, sondern frontal zu packen. Peter erzählte, dass er in diesem Alter noch fixe Vorstellungen davon hatte, wie sich ein Mädchen zu benehmen hat. Ich aber hatte ihn verunsichert, weil ich mich ganz anders benahm: nicht wie ein normales Mädchen, sondern eher wie ein Junge. Und Giovanni war in seiner dunklen Sanftheit wahrscheinlich schöner als irgendein Junge, dem Peter in seinem Leben je begegnet war. Er war einer der Menschen, die leuchten; er konnte nichts dafür, er war so geboren worden. Peter hatte manchmal Giovannis Haut berührt, die noch so weich und glatt war, und dieser hatte es zugelassen, vertrauensvoll und belustigt. Selbst ein einziger Blick auf Giovannis Gesicht sagte Peter, dass seine Wangen wie samtige Pfirsiche waren, seine Haut – die kaum etwas anderes als Meerwasser kannte – golden. Dass seine Gesten gelöst und nobel waren wie die Gesten der mit Efeu gekrönten Jünglinge auf den Bildern Caravaggios, der gleichzeitig Genie und Verbrecher war. Peter hatte einen Bildband mit Reproduktionen
italienischer Maler der Renaissance in der Bibliothek seines Vaters aufgestöbert. In den Bildern lag etwas, das ihn an Giovanni denken ließ. Der jugendliche »Narziss« zum Beispiel sah Giovanni auf derart verwirrende Weise ähnlich, als ob dieser Modell gestanden hätte. Peter konnte sich an diesem Jungen nicht sattsehen. Ein Bild besaß er von Giovanni, aber das war nur ein Klassenfoto, auf dem Giovanni in der hinteren Reihe kaum zu erkennen war. Auf diese Weise konnte er sich Giovanni nahefühlen; anders wäre es von vornherein undenkbar gewesen, und das war vielleicht der Grund, warum ihm so oft die Tränen kamen. Er verbarg diese Tränen – ein Junge weint nicht, hatte man ihm sattsam eingebläut. Aber hinterher, im Klassenzimmer, benahm sich Peter Giovanni gegenüber derart steif, dass man seine Zurückhaltung mit Aggressivität verwechseln konnte. In seinem Herzen bekämpften sich unnennbare Gefühle. Dazu kam der Standesdünkel. Natürlich war früher alles anders gewesen, aber als Dreizehnjähriger musste sich Peter vor Augen halten, dass Kinder aus anständigen Familien nicht mit Banditensöhnen verkehrten. Eine Freundschaft – wenn auch eine distanzierte – war nur möglich, wenn Giovanni das Priesterseminar besuchte. Da führte sein Weg ja zu Gott und ganz nebenbei in höhere Gesellschaftsschichten. Giovanni hätte sogar Bischof werden können. Peter stellte sich vor, wie seine Mutter vor Giovanni auf die Knie sank und seinen Ring küsste. Die Vorstellung fand er schockierend, spielte sie sich jedoch immer wieder genüsslich vor. Solche

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