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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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und das gebrauchte Geschirr wieder wegtrug. Saß Giovanni allein bei Tisch, brach sie ihr Schweigen nur, um zu wissen, ob es ihm geschmeckt hatte. Giovanni bedankte sich höflich, das Essen sei vorzüglich. Und die geschmorten Kartoffeln, ja, die mochte er am liebsten. Fragte er nach seinem Onkel, antwortete Clarissa meistens, dass er wohlauf sei, es aber gelegentlich vorzöge zu fasten. Er sei eben ein sehr frommer Mensch, murmelte die Alte wie im Selbstgespräch, wobei sie die Augen abwandte. Wenn Giovanni dann den Onkel plötzlich den Flur entlangkommen sah, mit diesen seltsam unsicheren Schritten, der schiefen Haltung, eine Schulter tiefer als die andere, erblickte er den Gegensatz zwischen der steifen Soutane und dem hageren, nervösen Körper darin. Die Worte,
die er dann zu ihm sprach, wurden ausgestoßen in zischenden Lauten, wobei Giovanni das Gefühl hatte, dass Don Antonino innerlich vibrierte.
    »Nun, mein Sohn, wie war es im Unterricht?«
    Giovanni antwortete pflichtschuldig, dass er gute Noten nach Hause brachte. Der Priester ließ ihn nicht aus den Augen.
    »Und wo warst du nach der Schule?«
    Er hatte also gemerkt, dass Giovanni sich dann und wann verspätete.
    Giovanni wich seinem bohrenden Blick aus.
    »Am Strand. Ihr habt es mir doch erlaubt, Onkel Antonino.«
    »Ja, ja, der Bewegungsdrang der Jugend. Du schwimmst gerne, nicht wahr?« Der Priester zeigte ein kleines Lächeln. Er hatte eine schwache Röte im Gesicht, die Augen glitzerten, die Wangenknochen traten wie kleine Elfenbeinkügelchen hervor.
    Giovanni sah auf seine Füße.
    »Ja, sehr gerne, Onkel Antonino.«
    »Hast du dich beim Schwimmen auch nicht nackt ausgezogen?«
    »Nein, Onkel Antonino. Ich… ich schwimme in Unterwäsche.«
    Ruckartig hob sich das spitze Kinn, als ob sich im Inneren ein Faden spannte und riss.
    »Sieh zu, dass dich keiner beobachtet. Sonst muss ich dir das Schwimmen verbieten.«
    Erzählte mir Giovanni solche Dinge, ging in meinem Kopf ein Licht an und aus, als ob ein Alarmzeichen blinkte.
    »Findest du nicht, dass dein Onkel etwas sonderbar ist?«
    Giovanni gab zu, dass er das manchmal auch fand.
    »Was will er mit solchen Fragen?«
    »Na ja, er ist Priester.« Giovanni hob verlegen die Schultern. »Er will einfach nicht, dass ich mich draußen ausziehe.«

    Ja, es gab Leute, die Scham vor jeder Nacktheit empfanden. Der unbekleidete Körper zeigt ja nicht nur die Haut, sondern die Blöße in ihrer eigentlichsten Form. Viktorianische Zimperlichkeit. Für Don Antonino, gefangen in der Welt der Heiligen und Märtyrer, mochte der Körper ein Instrument des Leidens sein, eine als beklemmend empfundene Erdverbundenheit, die man zu unterwerfen hatte, wenn man in den Himmel wollte. Weil Giovanni ein natürliches Verhältnis zu seinem Körper hatte, reagierte Don Antonino hypersensibel und prüde bis in die Knochen. Dass anderes dahintersteckte, sollte Giovanni erst auffallen, als es bereits zu spät war. Im Augenblick fasste er es noch als verschroben auf; wenn etwas verschroben ist, kann man darüber lachen. Ahnungslos, wie ich war, lachte ich mehr als Giovanni, der weitere Unarten bei seinem Onkel beobachtet hatte.
    »Er wäscht sich nie.«
    »Igitt!«, stöhnte ich zwischen Schaudern und Gelächter.
    »Er wechselt nur das Hemd, damit der Kragen sauber bleibt. Der Kragen hat oft einen schmutzigen roten Rand …«
    Das war nicht mehr komisch. Ich starrte ihn an. Mir fiel auf, dass Giovannis Gesicht sich in letzter Zeit verändert hatte. Es war härter geworden, fand ich. Seine Züge waren nach wie vor fest und klar, aber das Leuchten war aus ihnen gewichen. Es ist die Belastung, dachte ich, die Belastung, weil er alles so gut wie möglich machen will und der Onkel so schrullig ist.
    »Kommt es nie vor«, fragte ich, »dass du Angst vor ihm hast?«
    Giovanni schluckte.
    »Also, ich muss sagen – wenn er nachts in mein Zimmer kommt…«
    Die Lust am Lachen war mir endgültig vergangen.
    »Was hat er denn in deinem Zimmer zu suchen?«
    Giovannis Augen blickten scharf aus zusammengezogenen Pupillen, unnatürlich scharf.

    »Er denkt, dass ich schlafe, aber ich wache auf, sobald die Tür knarrt. Dann sehe ich seinen Schatten an der Wand. Er kommt dicht an mein Bett und schaut auf mich hinunter.«
    »Sagt er etwas? Was sagt er denn?«
    »Ach, nicht viel. Ich wollte nur sehen, ob du gut schläfst, und ähnliche Dinge. Ich muss dabei immer an Mimmo denken … Obwohl man das ja gar nicht vergleichen kann …«
    Mein Rückgrat

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