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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Hitze; das Wetter brachte Südwind mit, der tagelang tobte. Ich fühlte, wie ich störrisch und verschlagen wurde, alles summte in mir wie in einer Muschel. Ach, Giovanni! Ich wollte nur noch draußen sein, mit ihm, bei ihm. Ich sah das Drama nicht kommen. Woher auch? Doch mitten in der Stille kam es zu einem abrupten Stimmungswechsel, ausgelöst durch meine schmollende Bemerkung, dass ich die Ferien hasste, weil Peter und Vivi weg waren und Giovanni nicht kam. Und da explodierte mein Vater, hochrot im Gesicht. Die Adern traten hervor; ich hatte ihn noch nie so aufgebracht gesehen.
    »Alessa, mit Giovanni ist ab sofort Schluss. Ich verbiete dir, dich mit ihm zu treffen. Auch wenn Peter dabei ist.«
    Der Blitz traf mich wie aus heiterem Himmel, fuhr – zack! – durch mich hindurch. Der Blitz trennte mich von der Vergangenheit, von unseren Spielen und Entdeckungen, an denen ich, an denen er, was dasselbe war, teilgenommen hatten. Die
Trennung war endgültig, war absolut. Der Blitz zerschmetterte alles. Zurück blieb ein flackerndes Nachbild: die Zisterne, Giovanni und ich in eiskalter Dunkelheit und Vivi und Peter mit ihren bleichen, entsetzten Gesichtern oben am Rand.
    Mein Mund bebte wie der Mund eines Kindes, das gleich in Tränen ausbricht.
    »Aber … das geht doch nicht!«, stammelte ich kopflos. »Wir kennen uns doch seit Jahren!«
    Bevor er antwortete, steckte sich Vater langsam eine Zigarette an. Vor dem Geruch dieser Marke ekle ich mich heute noch. Vater war im Grunde ein herzensguter Mensch, der Mitleid mit mir hatte. Aber in diesem Augenblick zeigte er sich ganz als »Pater familias«.
    »Alessa«, sagte er dann, jedes Wort betonend. »Giovannis Mutter ist tot, und sein Vater steht wegen Mordes vor Gericht. Es stand in der Zeitung; ich kann dir den Bericht zeigen, wenn du willst.«
    »Vater hat das die ganze Zeit mit sich herumgetragen«, vertraute mir Mutter später an. »Er hasst solche Szenen so sehr und wusste nicht, wie er es dir sagen sollte.«
    »Das war unfair von ihm.«
    »Nein, er wollte dir keinen Kummer machen.«
    Ich weiß noch, wie mich damals, als er das sagte, eine Art fatale Lähmung überkam. Ich stand wie erstarrt, konnte nicht einmal den Kopf schütteln. Mir war, als ob er mich geschlagen hätte, was er noch nie getan hatte und auch nie tun würde. Ich konnte nichts sagen, nichts denken. Vater beherrschte sich mit mächtiger Anstrengung. Gerecht, wie er war, wollte er das Übel nicht verschlimmern. Er war mir nicht böse, nein, das nicht. Es war nicht meine Schuld, dass ich nichts wusste. Er wünschte nur, dass ich Giovanni nicht mehr sah. Jetzt, da es heraus war, atmete er freier. Er nickte Mutter zu, die ein kleines, trauriges Lächeln zeigte. Sie war froh, dass er die Dinge endlich ausgesprochen hatte. Mir kamen keine Tränen, ich
weinte ja fast nie. Ich stand wie betäubt vor einem Haufen Scherben; die Scherben unserer Unbefangenheit, unserer unbeschwerten Jugend, die Scherben unserer Liebe, die ihren Namen noch suchte. Mein Vater aber entspannte sich nun. Sitzend führte er die Zigarette an die Lippen, und sein Ton wurde sanfter. Der Sturm war vorüber. Endlich sprach er wieder mit mir, wie er früher gesprochen hatte, ganz ruhig, weil es jetzt viel leichter war, mit Milde und Verständnis.
    »Ach, Alessa, es tut mir ja leid! Ich weiß, dass dir der Junge viel bedeutet. Aber den Nachbarn kann ich das nicht erklären. Sei vernünftig und verlass dich auf das, was ich sage: Er ist kein Umgang mehr für dich. Du bringst dich in Verruf, wenn du mit ihm gesehen wirst. Glaube mir, Alessa, ich kann das beurteilen.«

19. Kapitel
    V ater hat meine Mutter getötet.« Giovanni sprach leise, die Wange an meine Schulter gedrückt, von unterdrückten Krämpfen geschüttelt. »Nach der Beerdigung hat mir mein Bruder Filippo erzählt, wie es passiert ist. Der Alte hat meine Mutter verprügelt, weil das Essen nicht schnell genug kam. Sie ist gegen die Ofenplatte gefallen und hat sich das Genick gebrochen. Vater hat allen befohlen zu schweigen. Ich sollte die Wahrheit nicht erfahren. Ich war ja nicht dabei, als es passierte, und konnte vor Gericht nicht aussagen. Aber Filippo hat den Mund nicht gehalten. Und wenn es Vater zu Ohren gelangt, dass Filippo es mir gesagt hat, bricht er ihm sämtliche Knochen.«
    Er hob sein Gesicht zu mir empor; seine Züge sahen dabei ganz eng aus, als verdorre er unter der Sonne plötzlich zu einer dunklen Frucht. Wenn er sein Gesicht so veränderte und die Augen

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