Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)
Aber nein, mit den großen Hunden pinkeln wollen und dabei das Bein nicht hochkriegen.«
Jetzt musste auch Tante Inge seufzen. »Es ist wirklich ein Kreuz. Ich wollte es dir eigentlich gar nicht erzählen – aber bei uns hat sie neulich auch erst wieder Geld geborgt und noch nicht zurückgezahlt.«
Meinem Vater gelang ein Seufzer, der alle bisherigen in den Schatten stellte. »Du bist zu gut für diese Welt. Du solltest ihr nichts mehr leihen. Sie muss endlich lernen, ihr Haushaltsgeld einzuteilen.«
»Sie behauptet, du gäbest ihr nie genug, sie könne mit dem Geld gar nicht auskommen.«
»Wir sind schließlich sechs Personen!«, rief mein Vater. Dann klang seine Stimme ganz gepresst. »Manchmal hätte ich große Lust, hier einfach alles stehen und liegen zu lassen und mich ins Ausland abzusetzen. Vielleicht nach Brasilien; erst neulich wurde ich in der Firma deswegen angehauen.«
»Manfred!«, sagte Tante Inge entsetzt. »So etwas darfst du nicht einmal denken! Was sollte denn aus den Kindern werden ohne dich?«
»Du hast ja Recht«, sagte mein Vater. »Ich weiß es ja selbst. Aber manchmal ist das hier alles mehr, als ein Mensch ertragen kann.«
Mir brach danach vor Mitleid fast das Herz. Der arme, arme Papa! Wie schwer er es hatte mit meiner grässlichen Mama! Als wir, kaum dass die Unterredung im Wohnzimmer beendet war, wieder am Tisch saßen und mein Vater mit seiner Schwester zurückkam in die Essdiele, hatte er gerötete Augen. Er hatte wirklich geweint. Wie unglücklich musste er sein!
In dieser Nacht wartete ich förmlich darauf, dass er mich zu sich ins Bett holte. Er sollte nicht traurig sein. Ich hatte ihn so lieb. Und als er in meinen Armen flüsterte: »Nie könnte ich deine Mutter so lieben wie dich!« – da war ich, trotz allem Widerwillen, sogar etwas stolz.
Ich habe nie erfahren, ob mein Vater mit Stefan jemals ein ernstes Wörtchen wegen des Onanierens gesprochen hat. Wenn ja, blieb es ohne Wirkung.
Heute bin ich überzeugt, dass die Selbstbefriedigung für Stefan wie eine Droge war. Sie half ihm, sein eigenes Leben für eine kurze Zeit zu vergessen. Immer hatte er nur gehört, wie unerwünscht und ungeliebt er war, weil unsere Mutter durch seine Schuld unglücklich geworden war. Was immer er für diese Mutter tat – er konnte nie wiedergutmachen, dass er gezeugt worden war. Sie verzieh ihm nie. Sie liebte ihn nie. Und mein Vater liebte ihn noch viel weniger.
So bescherten ihm wohl nur seine Orgasmen wirklich schöne Gefühle im Leben. Das Beste war: Diese Gefühle konnte er sich selbst verschaffen, wann immer ihm danach zumute war. Sie gehörten ihm allein, niemand konnte sie ihm nehmen, er musste für sie weder bezahlen noch dankbar sein. Vor allem konnte sich Stefan in den kurzen Momenten des Hochgefühls absolut sicher sein, dass sein Körper ihm gehörte, dass er nur ihm gehorchte, nur ihm zur Verfügung stand.
Das alles verstehe ich allerdings erst heute. Damals hatte ich nicht einmal den Ansatz einer Erklärung für Stefans stundenlange Fummelei am eigenen Körper. Ich selbst hatte ja keine sexuellen Bedürfnisse – wie hätte ich die meines Bruders verstehen sollen? So blieb mir, der bis heute alles Geschlechtliche am eigenen Körper verhasst ist, Stefans Onaniererei ein Buch mit sieben Siegeln.
Der einzige von uns Jüngeren, der offen gegen Stefans Verhalten aufmuckte, war Boris. Er, der früher immer sofort Spaß daran gefunden hatte, von seinem größeren Bruder dazu animiert zu werden, seinen eigenen Pimmel mit dessen zu vergleichen, brüllte Stefan nun immer häufiger an: »Hör auf, du Sau!«, oder er ging sogar mit den Fäusten auf ihn los.
Am liebsten hätte ich es selber getan. Mich ekelte Stefans Gebaren an. Wenn er sich auf sein Bett warf, eine Kassette in den Recorder schob und die Hose runterließ, wäre ich gern aus dem Zimmer gerannt. Doch die »geilste« und zugleich die sicherste Zeit zum Onanieren war für Stefan ja dann, wenn es im Schlaf- oder Wohnzimmer ebenfalls rundging. Dann aber herrschte ein absolutes Verbot für uns Kinder, unser Zimmer zu verlassen. So mussten wir Stefans Aktivitäten ertragen, ob es uns gefiel oder nicht.
Georg empfand nicht weniger Widerwillen als ich. Als hätten wir uns miteinander abgesprochen, saßen wir immer mit dem Rücken zu Stefan, wenn er es mit sich selber trieb.
»Eklig, gell?«, flüsterte Georg dann oft. »Wie der stinkt!«
Einmal hörte Stefan Georgs Bemerkung. »Der stinkt nicht«, sagte er grinsend. »Der
Weitere Kostenlose Bücher