Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)
an diesem Sonntag, während wir anderen das Frühstück bereiteten, einen Spaß daraus, an der Stereoanlage meines Vaters herumzuspielen und das Gestöhne aus dem Schlafzimmer auf Kassette aufzunehmen. Auch wenn er das Küken unter uns war, war keiner technisch versierter als er. Wenn Boris, er und ich allein zu Hause waren, kramte er gern seine Schätze hervor und lachte sich gemeinsam mit uns über die grässlichen Töne schlapp. Er und Boris imitierten bei solchen Gelegenheiten mit Inbrunst unsere Mutter, wie sie mit einem ihrer heiß geliebten Julia-Romane in den Kissen dahinschmolz und sich von ihren Söhnen verwöhnen ließ. Natürlich stellte Georg den Apparat ab und warf die Kassette in seinen Schulranzen, als Boris an die Schlafzimmertür pochte und »Der Kaffee ist fertig!« rief.
Wenig später nahmen meine Eltern am gedeckten Tisch Platz.
Während meine Mutter meinem Vater außer dem Kauen alle Arbeit abnahm, musste einer von uns meine Mutter bedienen. Fast immer fiel die Wahl auf Stefan und Boris. Georg und ich waren zu tölpelhaft dazu – was den Vorteil hatte, dass wir in Ruhe essen konnten. Nach dem Frühstück rauschten meine Eltern wieder ins Schlafzimmer. Jetzt wurde lustvoll vollendet, was vorher begonnen worden war. Nun endlich kam auch mein Vater, der so genannte Nummern zum Anwärmen liebte und vor dem Frühstück sich selbst nur ein bisschen in Fahrt gebracht hatte, voll auf seine Kosten.
Wir Kinder hatten unterdessen aufzuräumen und zu putzen, und Stefan bereitete das Mittagsmahl vor, das gegen drei serviert wurde. Was meine Eltern übrig ließen, war »für die Gottlosen«, also uns. Nachspeise war nie dabei.
Nach dem anstrengenden Vormittag hatten meine Eltern selbstverständlich einen ausgiebigen Mittagsschlaf nötig. In dieser Zeit durften wir nur auf Zehenspitzen durch die Gegend schleichen. Und wehe, beim Abwasch klirrten Teller!
Gegen fünf ging es dann richtig los. Mein Vater wurde zum Herrscher über das Badezimmer. Ich hatte ihm Wasser in die Wanne einzulassen – ja nicht zu heiß und ja nicht zu kalt! – und später seinen göttlichen Leib zu massieren. Dabei musste das Fernsehgerät in voller Lautstärke laufen, weil die Sportschau nicht verpasst werden durfte. Meine Mutter ruhte sich indessen mit Georgs Hilfe aus und übernahm dann, sobald mein Vater sich rasierte, das noch lauwarme Badewasser. In der Zwischenzeit hatte ich die Ehre, die Bluse und den Rock aufzubügeln, die sie anzuziehen wünschte.
An diesem Sonntag nutzte ich die Badezeit meiner Eltern für meine eigenen Zwecke. Sie hatten gesagt, dass sie abends ausgehen wollten. Ich wusste, was das bedeutete: Sie wollten einen so genannten Club besuchen. Mein Vater hatte mich schon einmal dorthin mitgenommen. Ich erinnerte mich nicht sehr deutlich an diesen ersten Clubbesuch. Wahrscheinlich war ich noch sehr klein gewesen. Die Leute hatten seltsame schwarze Kleidungsstücke getragen, aus deren Löchern überall Haut herausschaute. Mich hatten alle bewundert und süß gefunden. Als ich müde war, schlief ich in den Armen irgendeiner Frau ein, während ringsumher Leute schrien und aufeinander einschlugen.
Irgendwann hatte ich im Schlafzimmer meiner Eltern ein Werbeblatt oder so etwas Ähnliches sowie eine Eintrittskarte für diesen Club gefunden. Daher wusste ich, dass mein Vater pro Abend mindestens 150 Mark bezahlen musste und vermutlich genügend Bargeld einstecken haben würde. Er liebte es, den »Big Boss« zu spielen und mit Scheinen um sich zu werfen.
Jetzt kam es nur darauf an, rechtzeitig, bevor er aus dem Badezimmer kam, die Brieftasche zu finden. Ich hatte auch auf Anhieb Glück. Ordnungsliebend, wie mein Vater war, hatte er das Geld für den Abend in der Schublade des Nachttisches deponiert. So rasch haben fünfzig Mark wohl selten den Besitzer gewechselt. Als mein Vater herumbrüllte, ob ich, verdammt noch mal, seine Schuhe denn noch immer nicht geputzt hätte, stand ich längst am Bügeltisch und plättete Mutters Bluse.
Fünfzig Mark – das war zwar nicht der versprochene Blaue. Aber Georg ließ sich erweichen, mir trotzdem Platz in seinem Bett einzuräumen. Dankbar an ihn gekuschelt, schlief ich ein. In dieser Nacht würde nichts geschehen.
Als mein Vater sich am nächsten Morgen das Frühstück von Boris und mir auftragen ließ, war er verkatert wie immer nach dem Clubbesuch. War mir nur so – oder starrte er mich wirklich misstrauisch an? Er musste das Fehlen der fünfzig Mark bemerkt haben.
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