Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)
Rückwärtsfresser: Blamiert mich nicht! Verstanden?«
Georg stieß mir vielsagend in die Rippen.
Rückwärtsfresser! Jeder wusste, worauf mein Vater anspielte. Bereits in den ersten Tagen nach meiner Rückkehr aus der Kur hatte er entdeckt, dass ich mir von dort eine seltsame Angewohnheit mitgebracht hatte: Nach jeder Mahlzeit musste ich dringend zur Toilette.
»Vom Tisch ins Gebüsch!«, lästerte er anfangs. »Sind das die Manieren, die man euch in der Kur beigebracht hat?«
Als er zum ersten Mal hörte, wie ich mich über dem Toilettenbecken erbrach, änderte sich sein Ton gewaltig. »Seit wann hast du das?« Er zählte die Binden im Bad. »Wenn das nicht besser wird, müssen wir wohl zum Arzt. Hast du Angst?«
Ich und Angst? Nein, die Angst hatte er ! Angst, ich sei schwanger. Am liebsten hätte ich laut losgelacht.
Von nun an gab es keinen Tag mehr ohne Kontrollgang zur Bindenbank, wie er das Körbchen im Badezimmer nannte. Und es gab keinen Tag ohne Kontrolle bei mir. Ich redete auf meinen Körper ein. Einmal musste er mir doch gehorchen! Doch nein, er ließ mich so im Stich wie immer. Wie erleichtert mein Vater war, als ich endlich meine Tage bekam! Kaum hatte er sein Glück gefasst, traf er Vorsorge für die Zukunft. »Von jetzt an nimmst du die Pille! Den Zirkus mach ich nicht mehr mit. Und die verdammte Kotzerei hört auf, sofort!«
Trotz Drohungen und Schlägen – ich steckte mir weiterhin den Finger in den Hals. Es war ein absolut tolles Gefühl, alles in sich hineinzufressen, manchmal acht Stücke Kuchen plus drei Tafeln Schokolade auf einmal, und die Macht zu haben, alles wieder herauszubringen, wenn mir danach war. Niemand sonst hatte diese Macht über meinen Magen. Erstmals erfuhr ich, dass zumindest dieser Teil meines ansonsten von anderen benutzten Körpers wirklich mir gehörte.
Es war wie ein Rausch, der mich überkam. Ich musste die Erfahrung meiner Macht wieder und wieder machen. Da half es nichts, dass man die Badezimmertür bis weit nach Mitternacht absperrte oder mir verbot, ein Abendessen zu mir zu nehmen. Ich konnte warten – wenn es sein musste, stundenlang. So schnell verdaute mein Magen nicht. Er war mein Freund. Er schmerzte, wenn mein Körper missbraucht wurde; er war der einzige Teil von mir, der das Spiel nicht mitmachte. Vielleicht war er zu tief in mir drinnen, dachte ich oft, vielleicht erreichte ihn nichts. Ich zog mich in ihn zurück, wenn ich meine Ruhe haben wollte. Vielleicht wohnte meine Seele in ihm. Wenn ich es wollte, gab er noch Stunden nach dem Essen alles wieder her.
»Rückwärtsfresser!«, schrie mein Vater mich an. »Weißt du überhaupt, wie widerlich du bist? Verfault bis oben hin! Nicht einmal eine Kuh ist so dämlich wie du; die frisst ihr Zeug wenigstens wieder!«
»Monika«, säuselte er in anderen Situationen und verblüffte mich, dass er sich sogar an meinen Namen erinnerte. »Ich bin so traurig. Du tust mir weh, wenn du so etwas machst. Kind, du schadest dir doch bloß selbst! Du wirst noch so hässlich und dürr, dass dich kein Mensch mehr haben will.«
»Du auch nicht?«, fragte ich.
»Ich auch nicht«, sagte er und glaubte, mich damit zu schrecken. »Meinst du etwa, es macht Spaß, sich an dir blaue Flecke zu holen?«
Ich lachte. Er dachte wohl, sein Witz habe mir gefallen. Doch ich lachte, weil ich plötzlich etwas begriffen hatte, was er nicht begriffen hatte. Weil ich ihn überlistet hatte; vielleicht war ich blöd, aber er musste noch blöder sein. Er hatte mir einen Weg gewiesen, ihm zu entkommen, und es selbst nicht gemerkt. Der einzige Ausweg war: mich zu zerstören und zu vernichten.
Das Wochenende in der Eifel begann so, wie Freizeit schöner nicht sein kann. Wir wanderten, sprangen über Bäche, lachten, spielten, badeten im hauseigenen Swimmingpool. Die Freunde meiner Eltern waren sehr reich – »stinkreich«, wie meine Mutter kennerisch sagte. Ihr Haus war eine wunderschöne weiße Villa mit Hanglage und Blick bis hin zu Schneewittchen.
Georg, der sich bei jedem gleich wieder von seiner süßen Seite gezeigt und, wie mein Vater sagte, die Kennenlernstimmung entkrampft hatte, mochte die Leute nicht.
»Die sind doof!«, meinte er. »Hast du gemerkt, wie der fette Sack dich beglotzt hat?«
Warum, frage ich mich, warum hatte ich dieses Gespür nicht? Warum ahnte ich nichts? Warum fiel ich aus allen Wolken, als dieser Mann mich abends am Swimmingpool zu befummeln begann?
»Hilfe!«, wollte ich schreien. »Papa, hilf
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