Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter
wurden. Es machte mir Angst, wie vor allem Stefan mich dabei anstarrte.
Es war ein doofes Spiel. Aber Stefan war stark. Er konnte einem die Arme auf den Rücken drehen und zuschlagen, bis man blutete. Vor allem aber besaß er mehrere Messer und Pistolen, die wie echt aussahen.
»Mach’s, oder du bist dran!«, schrie er, die Klinge an meiner Kehle. »Ich bring dich um!«
Diese Angst! Niemand würde mir helfen, ich wusste es genau. Wenn ich um Hilfe schrie, bekäme ich noch Prügel obendrein. »Ja«, presste ich heraus. »Ja, ich mach’s!«
Später versuchte ich erst gar nicht mehr, mich zu wehren. Es war schneller vorbei, wenn ich gleich tat, was Stefan verlangte.
Mittlerweile war ich schon fast neun Jahre alt. Ich hatte lesen gelernt und alles andere, was einem in der dritten Schulklasse beigebracht wird.
Bewundert wie Stefan wurde ich dafür allerdings nicht. Warum auch? Schließlich las er besser als ich, schrieb schöner als ich, konnte besser rechnen, besser turnen, war einfach in allem besser als ich. Ich mochte mir noch so große Mühe geben – meinen Vater interessierte es nicht. Und meine Mutter entdeckte erst recht nichts Lobenswertes an mir.
»Gib dem Hahn auf dem Mist einen Stift, und er schreibt besser als du!«, rief sie, sobald sie mein Schulheft aufschlug. Vorlesen durfte ich nicht. Mein Stocken und Stottern ging meiner Mutter zu sehr auf die Nerven. »Doof bleibt doof!«, sagte sie. »Halt wenigstens den Mund, damit es keiner merkt.«
»Lass die Alte doch!«, sagte mein Vater dann oft. Mit »der Alten« meinte er mich! »Hast du etwas davon, dass du mal dein Abi gebaut hast?«
»Ich heiß nicht ›Alte‹!«, wollte ich schreien. »Ich habe einen richtigen Namen!« Aber ich wagte es nicht. Ich kniff die Lippen zusammen, damit die Worte nicht von selbst heraussprangen.
»Wie sie wieder schaut, unsere Alte!«, grinste mein Vater und schob im Beisein meiner Mutter seine Hand unter meinen Rock. »Du kannst doch vom Ochsen nicht mehr als Rindfleisch verlangen.«
Mit herabgezogenen Mundwinkeln wandte meine Mutter sich ab. Mein Vater lachte und griff unter meinem Rock fester zu. »Siehst du, jetzt sind wir sie los«, flüsterte er. »Jetzt machen wir beide es uns schön gemütlich. Komm her, hierher, ja, so ist’s brav!« Und damit zog er mich neben sich in den Sessel.
Ich wusste, was kommen würde. Inzwischen wusste ich die Vorzeichen zu deuten: diese feuchten, glitschigen Hände, diese Beule unter dem Hosenladen, diesen seltsam starren Blick.
Ich versuchte, ganz flach zu atmen und an nichts anderes zu denken als an meine Atemzüge. Kurz mussten sie sein, nicht länger als meine Nase. Nach ein paar Sekunden setzte dann ein ganz merkwürdiges Gefühl in mir ein. In meinen Ohren, hinter den Augen, überall schien es »Luft! Luft!« zu dröhnen. Die Stelle zwischen meinen Beinen, wo Papa mich anfasste, schien weit, weit weg zu sein. Meine Hand, die er um sein steifes Glied gelegt hatte und mit festem Griff um mein Handgelenk auf und nieder führte, schien mir nicht mehr zu gehören. Ich schaffte es, das Atmen fast ganz einzustellen. Erst wenn unsichtbare Wolken vor meinen Augen wirbelten, gab ich dem Atemdrang schlückchenweise nach. Ich stellte mir vor, immer leichter und leichter zu werden, bis ich ganz verschwunden schien. Dies gelang so gut, dass meine Haut gefühllos wurde. Als ich Jahre später zum ersten Mal eine örtliche Betäubung erhielt, erkannte ich die Taubheit und Schmerzunempfindlichkeit, die sich einstellten, als den Zustand wieder, den ich selbst durch meine Atemtechnik herbeiführen kann.
Die Begegnungen im Sessel endeten meist damit, dass mein Vater seine Hose zuknöpfte, mir einen Schubs gab und sagte: »Geh spielen! Und denk daran: Kein Wort – verstanden?«
Natürlich hatte ich längst verstanden: Obwohl mir die »Spielchen« meines Vaters nicht gefielen, hatte ich mich mit ihnen abzufinden. Sie gehörten zu meinem Kinderalltag dazu. Ich ertrug sie und nahm sie in Kauf wie eine unerwünschte Zugabe zu einem heiß ersehnten Geschenk. Denn die Nähe, die Zärtlichkeit und Wärme meines Vaters waren mir das Wichtigste auf der Welt. Zwar mochte ich es nicht, wenn er zu mir sagte: »Du willst das doch selbst! Gib doch zu, dass es dir gefällt! Du kriechst doch nur zu gern in mein Bett!« Doch es stellte meine Liebe zu ihm nicht in Frage. Mir war damals nicht bewusst, dass er meine unschuldigen Wünsche für seine Zwecke ausbeutete. Ich empfand nicht seine Schlechtigkeit
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