Monkeewrench 02 - Der Koeder
Hilfreiches zu finden. Bis jetzt hatte der Inhalt der Schreibtischschubladen und Schränke des alten Mannes kaum mehr ergeben als die Bestätigung, dass er allen möglichen Schrott hortete, statt ihn wegzuwerfen. Sie hatten bereits vier Kartons untersucht, und das Interessanteste, was sie gefunden hatten, war eine leere alte Chicklets-Dose gewesen, die bei ihnen beiden augenblicklich Kindheitserinnerungen geweckt hatte. Offenbar hatten Mütter aller Glaubensrichtungen diese köstlichen kleinen weißen Kaugummikissen heimlich verteilt, damit ihre Kinder während des Gottesdienstes nicht schwatzten.
Johnny stand auf und reckte sich, spähte in den Karton und rupfte eine Zellophanpackung zerkrümelter Suppencracker heraus. «Oh, Mann, endlich eine Spur.»
Langer betrachtete die klägliche kleine Packung, verzog das Gesicht und sah dann schnell zur Seite. Dinge dieser Art waren ihm im Haus seiner Mutter in die Hände gefallen, nachdem er sie im vergangenen Jahr begraben hatte. Einzelne Streifen Kaugummi, so alt und brüchig, dass sie in ihren Stanniolhüllen zerfielen, als er sie berührte; Schachteln mit Kerzenstummeln und Fetzen von Einwickelpapier; und dann der rätselhafte Fund, der ihn bis heute beschäftigte – eine Papiertüte mit Strumpfhosen, und bei allen war jeweils ein Bein abgeschnitten. Das Sammelsurium der Toten zählte zweifellos zu den traurigsten Dingen der Welt.
«Ist was, Langer?»
Er schüttelte den Kopf und tat so, als studierte er einen alten politischen Handzettel, den er gerade aus dem Karton gezogen hatte. Über das lange Sterben seiner Mutter sprach er mit niemandem. Nicht mit seinem Partner, nicht mit seinem Rabbi, ja, nicht einmal mit seiner Frau, die wahrscheinlich auf seiner Liste des Scheiterns die Nächste war. Seine Mutter war die Erste gewesen. Nach einem Leben voller Liebe, Humor und Chicklets war er vor ihrem Alzheimer davongerannt und hatte sie fremden Menschen überlassen, die sie – ebenso wie er auch – alleine hatten sterben lassen.
«Langer?»
Nachdem er bei seiner Mutter versagt hatte, versagte er im Job. Wie ein blinder Idiot hatte er dagestanden, als der Monkeewrench-Killer auf einer Parkrampe in der Mall of America an ihm vorbeilief und sein letztes Opfer in einem Rollstuhl vor sich her schob. Er war ein Detective, verdammt noch mal, und er hatte einen Mörder nicht erkannt, der nur wenige Schritte entfernt war. Noch immer wachte er jede Nacht schwitzend und keuchend auf und musste an die Menschen denken, die nach jenem Tag ihr Leben verloren hatten. Wie leicht er sie hätte retten können.
Und dann, natürlich, die ganz schlimme Geschichte, als er vor sich selbst versagt hatte, seinen Gott geleugnet und alles, woran er je geglaubt hatte, und das Komische daran war, dass es nur einen Moment gedauert hatte. Nein, nicht einmal so lange. Nur die wenigen Sekunden, die er gebraucht hatte, um…
«Verdammt, Langer, was ist los mit dir?»
Er zuckte zusammen, als Johnny McLarens Hand seine Schulter berührte, und dachte in dem Augenblick, sein Herz habe aufgehört zu schlagen. Und diese Möglichkeit ließ ihn kalt.
«He, was ist denn los, Mann? Hast du die Grippe oder so was? Du schwitzt ja wie ein Schwein.»
Langer richtete sich auf und wischte sich übers Gesicht, auf dem er einen glitschigen Film aus Furcht und Reue spürte. «Tut mir leid. Ja, vielleicht eine Grippe im Anzug.»
«Dann setz dich hin, um Gottes willen. Ich hole dir Wasser. Und vielleicht solltest du überlegen, nach Hause zu fahren.» McLaren betrachtete ihn mit wachsamer, fast ängstlicher Besorgnis. «Du warst gerade eine Zeit lang richtig weggetreten, weißt du das? Hast mir einen mordsmäßigen Schreck eingejagt.»
Langer lächelte ihn an, allein deswegen weil McLaren angeboten hatte, ihm Wasser zu holen. So eine alberne kleine Geste, und doch hatte sie ihn berührt, als sei es eine Freundlichkeit, die er ganz und gar nicht verdient hatte. «Schweine schwitzen nicht», sagte er.
«Hä?»
«Du hast gesagt, ich schwitze wie ein Schwein. Aber Schweine schwitzen nicht.»
«Tun sie nicht?»
«Nein.»
McLaren wirkte vollkommen verblüfft. «Das ist so dumm. Mann, das macht mich stinksauer. Wieso zum Teufel denken die Leute sich Sprüche über schwitzende Schweine aus, wenn die gar nicht schwitzen?»
«Keine Ahnung.»
Als McLaren mit einem angeschlagenen Becher voller Wasser und zwei kleinen weißen Pillen zurückkam, saß Langer ruhig an seinem Schreibtisch und sah zu, wie das Gras auf der
Weitere Kostenlose Bücher