Monkeewrench 06 - Todesnaehe
aufnehmen konnte. «Ich vermute, da draußen im Wald wird es nicht gerade lustig werden. Sind Sie auch wirklich sicher, dass Sie das wollen?»
Und Harley spürte, wie die Angst ihre hinterhältigen Tentakel nach seinen Knien ausstreckte, sie ins Wanken brachte. Vielleicht war dieses Gefühl der Situation ja ganz angemessen – oder er war einfach ein stümperhafter Angsthase, der zwar eigentlich gern mit richtigen Soldaten Krieg spielen würde, jetzt aber plötzlich erkannte, dass die Zielfiguren da draußen nicht aus Pappe sein würden, sondern aus Fleisch und Blut. Das war kein Spiel – der Chief hatte völlig recht. Doch schließlich sagte er entschlossen: «Ja, ich will es schon. Aber um ehrlich zu sein, geht mir gerade ziemlich der Arsch auf Grundeis.»
Claude lächelte verständnisvoll und klopfte ihm auf die Schulter. «Willkommen im Club. Wenn man eine Waffe in der Hand hält und weiß, dass man sie womöglich benutzen muss, um sich zu verteidigen, geht jedem der Arsch auf Grundeis. Jedes Mal. Nur eins ist schlimmer, als den Lauf der eigenen Waffe auf jemanden zu richten und zu wissen, dass man schießen wird: Wenn man den Lauf einer anderen Waffe auf sich gerichtet sieht.»
Harley fühlte sich, als würde ihm sämtliches Blut auf einmal in die Füße sacken. Er hatte in seinem Leben genügend Kneipenschlägereien durchgestanden und hin und wieder sogar mal ein Messer abgewehrt, was er durch entsprechende Narben belegen konnte, aber den Lauf einer Waffe hatte er zum Glück noch nie auf sich gerichtet gesehen. Jetzt konnte sich das allerdings schnell ändern. «Sie kriegen also auch immer noch Angst, trotz der Einsätze in Vietnam?»
«Aber sicher.» Der Chief griff sich eine der AK s aus dem Kofferraum. «Angst hält einen wachsam.»
Claude nickte. «Und sie hält einen am Leben. Krieg ist das Allerhinterletzte. Wir machen das nur, weil wir an das glauben, wofür wir kämpfen.»
Harley atmete zittrig aus. «Ich kämpfe für meine Freunde.»
«Das ist der beste Grund überhaupt», sagte Claude. «Keine Angst, Junge, wir geben Ihnen Rückendeckung. Ihnen wird schon nichts passieren.»
«Sind die vollautomatisch?», wollte der Chief wissen.
«Ja. Nehmen Sie sich ruhig eine, ich habe drei von den Dingern. Kennen Sie die AK ?»
«Besser als jede Frau», meinte Claude. «In Vietnam haben wir unsere eigenen M-16s weggeworfen und unseren toten Feinden ihre AK s abgenommen. Die kann man quer durch ein Reisfeld voll Schlamm und Büffelscheiße schleppen, und sie kriegen trotzdem keine Ladehemmung. Meiner Ansicht nach die zuverlässigste Kriegswaffe, die je erfunden wurde.»
Der Chief zog die drei AK s heraus und betrachtete dann die übrigen Waffen, die noch im Kofferraum des Range Rover lagen. «Haben Sie was dagegen, Harley, wenn wir die als Reserve mit ins Haus nehmen?»
«Dafür sind sie da. Ich helfe Ihnen.»
Claude sah zu, wie die beiden Männer die Waffen ausluden. Er fand es geradezu unheimlich, wie ähnlich sie sich waren, fast bis aufs Pfund und auf den Zentimeter genau, nur dass Harley, was Alter und Muskelmasse betraf, etwas im Vorteil war. Zudem hatten sie beide schwarzes Haar, einen dunklen Teint und die hohen Wangenknochen, die für Indianer aus dieser Gegend typisch waren. Sie hätten problemlos als Brüder durchgehen können. Vielleicht waren sie ja sogar irgendwie verwandt? Ganz einfach ließen sich die Erbanteile bei keiner Rasse bestimmen, am allerwenigsten bei den Indianern und ihrer langen Vergangenheit mit den Weißen. Zahllose Paarungen freiwilliger und unfreiwilliger Art waren über die Jahrhunderte hinweg undokumentiert geblieben.
«Willst du da noch länger rumstehen, Claude, und uns die ganze Arbeit machen lassen?»
«Genau das hatte ich vor. Ihr zwei starken Männer tragt die Waffen, ich nehme die Ersatzmunition.» Immer noch erstaunt über Harleys Ähnlichkeit mit dem Chief, musterte Claude ihn genauer. «Haben Sie eigentlich indianische Vorfahren, mein Junge?»
Die Frage überraschte Harley ein wenig. «Sie sind nicht der Erste, der mich das fragt. Aber die Antwort ist: Ich weiß gar nichts über meine Familie.»
«Natürlich haben Sie Indianerblut», meinte der Chief. «Kein halbwegs zurechnungsfähiger Chimook hängt mit Gesindel wie diesen Typen aus Bad River rum, wenn er nicht ein paar Chromosomen mit ihnen teilt.»
Die Frotzelei bot ein willkommenes Ventil für die aufgestaute Beklommenheit. Sie mussten alle drei lachen, trotz allem, was ihnen unmittelbar
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