Monrepos oder die Kaelte der Macht
einem einzigen Blick alles aufzusaugen − die herrisch vorspringenden Seitenflügel, das von Säulen umrundete Eingangsportal, die ebenmäßige Reihe zimmerhoher Fenster mit weißlackierten Rahmen, das weit heruntergezogene, von winzigen Gauben unterteilte Dach und in einsamer, stolzer Mitte zuoberst die große Kuppel mit Aussichtsplateau, zierlichem Messinggeländer und fahnenlosem Fahnenmast: so begann Bernhard Gundelach, siebenundzwanzigjährig, an einem Frühlingsmorgen des Jahres 1976 seinen Dienst in der obersten Behörde des Landes.
Man war im ›Olymp‹, wie das mächtige Ministerium nicht nur seiner landschaftlich dominierenden Lage hoch über der Hauptstadt wegen oft genannt wurde, durch Zufall auf den jungen Assessor aufmerksam geworden. In einem dringenden Versetzungsgesuch an die übergeordnete Dienststelle hatte er neben diversen Gründen, die ihm ein Verbleiben im Landratsamt nach seiner Überzeugung unmöglich machten, beiläufig die Tatsache erwähnt, daß er einen Teil seines Studiums mit freier journalistischer Tätigkeit finanziert habe. Gelegenheitsarbeiten waren es gewesen, Abfallprodukte der Unlust wohlbestallter Redakteure, sich ihren freien Samstag oder einen Abend, an dem es andernorts opulente Essenseinladungen gab, mit Nichtigkeiten um die Ohren zu schlagen. Die Bezahlung war dürftig, aber sie reichte aus, um ein autoähnliches Gefährt der Marke Jagst 770 zu unterhalten. Mit ihm ließ sich an regnerischen Tagen zu langweiligen Seminaren über Straf- und Schuldrecht in Heidelbergs Universität, an lauen Sommerabenden den Neckar entlang in eine der zahllosen Vorstadtkneipen kutschieren.
Nur en passant hatte er dieses frühen Seitentriebs seines beruflichen Werdegangs gedacht, aus Furcht, das Andersartige, von der Norm Abweichende daran, könnte ungünstig aufgenommen werden. Denn die Regierung, der er sich mit seinem Eintritt in den Staatsdienst unterstellt hatte, war bis in die Knochen konservativ und duldete nach der eben erst überstandenen studentischen Revolution keine Extratouren ihrer Beamtenschaft. Und doch ebnete gerade dieser kleine, listige Hinweis auf eine lose Betätigung jenseits der erfolgreich absolvierten juristischen Examina − mit denen man weiß Gott nicht alleine stand − Bernhard Gundelach den Weg in den innersten Tempelbezirk der Administration.
Das Land nämlich rüstete sich zu den Feierlichkeiten seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens; und weil dieses Ereignis nur wenige Wochen getrennt lag von dem noch weit wichtigeren Wahltermin, bei dem es galt, das Land und die absolute Mehrheit der CDU gegen den Sozialismus zu verteidigen, beschloß die Regierung, die Vorbereitungen für beide Schicksalsfügungen frühzeitig zu verquicken. Durch volksnahe Aktionen an vielen Orten sollten die Bürger so heimatbewußt-heiter gestimmt werden, daß sich die Festesfreude eines selbstgewissen Wir-Gefühls wie von ungefähr in den Wahlkabinen als staatstragendes Stimmverhalten niederschlug. Dazu brauchte man junge Leute, die einfallsreich waren, ohne widerborstig zu sein. Die öffentlichen Personalverwaltungen waren angewiesen, solchen positiven Erscheinungen, die im Staatsdienst nicht eben häufig anzutreffen sind, nachzuspüren.
Gundelach erhielt also postwendend Antwort und das in einem Tone, der den Unterschied von weit oben zu tief unten mit sozusagen herzhafter Freundlichkeit aus der Welt zu schreiben suchte.
Sehr geehrter Herr Gundelach, hieß es in dem Brief, den das große Landeswappen zierte, mit Interesse und Aufmerksamkeit haben wir Ihr Versetzungsgesuch vom 20. März ds. Js. zur Kenntnis genommen. Angesichts Ihrer erst kurzen Zugehörigkeit zum Landratsamt und im Hinblick darauf, daß Ihr Beamtenverhältnis auf Probe noch andauert, kann einer bereits jetzt erfolgenden Versetzung bzw. Abordnung zu einer anderen Landesbehörde an und für sich nicht nähergetreten werden. Auch bitten wir um Verständnis, daß Ihre Begründung, soweit sie die dienstliche Haltung Ihres Referatsleiters Regierungsdirektor Dr. Mauler betrifft, von uns ungeprüft und ohne Anhörung des Betroffenen nicht unbesehen übernommen werden kann. Trotzdem legt Ihr Hinweis auf mehrere Jahre offenbar erfolgreicher Tätigkeit als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen den Schluß nahe, daß Ihr jetziger Aufgabenbereich im Referat I/4 (Wasserrecht, Wasserwirtschaft) möglicherweise nicht Ihren spezifischen Befähigungen entspricht. In der Staatskanzlei ist in Kürze die Stelle eines
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