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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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in Gegenwart Dritter gar nicht ertrug. Wer dagegen verstieß, hatte einen abgestuften Sanktionsmechanismus zu gewärtigen.
    Am glimpflichsten kam davon, wer nur im Beisein von Beamten des Hauses eine abweichende Meinung äußerte. Ihm drohte ein: Entschuldigung, das ist doch Quatsch! Das können Sie vergessen! – was keineswegs ausschloß, daß Specht im Verlauf der Besprechung den abgebürsteten Vorschlag mit eigenen Worten okkupierte. Im Kabinett Widerworte zu geben, war dagegen für Beamte fast schon ein Ding der Unmöglichkeit. Specht hatte die Abteilungsleiter auf die Stühlchen an der Wand verbannt, wo sie nur auf ausdrückliches Befragen und im Stehen zu antworten hatten. Deckte sich der Beitrag nicht mit der Auffassung des Ministerpräsidenten, hatte die Sache als erledigt zu gelten.
    Schon in der ersten Ministerratssitzung, bei der Gundelach zugegen sein durfte, erlebte er, wie Specht mit denjenigen verfuhr, die sich begriffsstutzig zeigten. Ministerialrat Winkelmann, ein promovierter Volkswirt, der seinen erkrankten Vorgesetzten vertrat und die veränderten Usancen noch nicht mitbekommen hatte, beharrte auf seinem Standpunkt und führte zur Unterstützung ein Telefonat mit dem Landeszentralbankpräsidenten an, der seine Einschätzung teilte.
    Specht machte kurzen Prozeß. Wenn Sie mit Ihrem dummen Geschwätz nicht sofort aufhören, schrie er, schmeiß ich Sie raus! Winkelmann ging von selbst, und Specht blickte triumphierend in die Runde: Genau das wollt ich erreichen!
    Kurz darauf fand sich Winkelmann ins Wirtschaftsministerium versetzt.
    Derartige Disziplinierungen wirkten stilbildend. Auch die Minister und Staatssekretäre gewöhnten sich an, zunächst die Topographie der Spechtschen Stirnfalte zu studieren, bevor sie es wagten, auf Gegenkurs zu gehen. Meist leiteten sie das riskante Manöver mit beschwichtigenden Formeln ein. Auf die Gefahr hin, Ihren Unmut zu erregen, sagten sie, oder: Im Prinzip, Herr Ministerpräsident, haben Sie völlig recht, aber ich gebe doch zu bedenken … Erschien dann ein joviales, selten von Spott ganz freies Lächeln auf Spechts angespannten Gesichtszügen, trauten sie sich weiter vor.
    Völlig undenkbar wäre es gewesen, Oskar Specht in Gegenwart von Unternehmern, Journalisten und Frauen zu korrigieren. Ohnehin versuchte das keiner, der halbwegs bei Verstand war. Und doch konnte es geschehen, daß ein Unvorsichtiger zu vorgerückter Stunde, vom Alkohol oder der scheinbaren Gelöstheit eines um den Ministerpräsidenten gescharten Kreises angestachelt, auch ein wenig zu glänzen trachtete. Selbst Tom Wiener, der ein begabter Gesellschafter war, der parodieren, Witze erzählen und in Tenorlage singen konnte, ließ sich gelegentlich zu einem derartigen Fauxpas hinreißen. Das Ergebnis war jedesmal gleich niederschmetternd. Oskar Specht duldete kein Licht neben sich, das heller strahlte als er selbst. Irgend etwas in seinem Innern, ein komplizierter Seelenmechanismus, den zu steuern er nicht fähig war, hieß ihn, Aufmerksamkeitserfolge Nachrangiger als Kampfansage aufzufassen. Abende, die seinem Bedürfnis, Mittelpunkt zu sein, nicht entsprachen, endeten in der Regel disharmonisch. War der Schuldige ein Untergebener, wurde er auf der Stelle so gedeckelt, daß die Macht eines Ministerpräsidenten nackt und brutal zutage trat. Verstieß ein Außenstehender gegen den Kodex, brach Specht die Beziehung zu ihm meist ab.
    Die andere Seite des gerade vierzigjährigen Senkrechtstarters war eine mitunter frappierende Großzügigkeit. Schlug man sich Tage und Nächte um die Ohren, um eine Konferenz, einen Kongreß oder eine große Rede vorzubereiten, begleitete man ihn rund um die Uhr auf seiner Jagd nach Selbstbestätigung, gab man sich seinem unstillbaren Verlangen, stets der Erste, Schnellste und Beste zu sein, bis zur Erschöpfung hin, dann konnte es geschehen, daß Specht auf eigene Rechnung zu einem Fünfsterne-Essen einlud und den Grand cru -Bordeaux mit weltläufigen Erzählungen verkostete.
    Ja, er kannte die Großen der Welt, und erstaunlich viele kannten ihn. Fast überall war er schon gewesen und hatte Freunde, Geschäfte und noch mehr Pläne hinterlassen. Hatte mit Singapurs Premierminister Lee Kuan Yew übers Preußentum diskutiert und sich von Imelda Marcos in die Geheimnisse einer obskuren ›University of life‹ einweihen lassen. Hatte an der Amtseinführung des equadorianischen Staatspräsidenten teilgenommen und dem Emir von Kuweit Pläne für einen Parlamentsneubau

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