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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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die Kunde von einem, der es schon in mehreren Unternehmen zu etwas gebracht hatte, bevor er in die Politik wechselte. Der wie ein Vorstandsvorsitzender dachte und argumentierte, nur daß bei ihm alles viel lustiger klang. Das wurde wie ein Geheimtip weitergereicht, und die Einladungen häuften sich.
    Gundelach reiste mit, beobachtete, notierte und traf immer wieder auf dieses: Faszinierend! Wenn nur seine Sprache geschliffener wäre! Da war man halt durch Helmut Schmidt verwöhnt. Aber sonst … fabelhaft!
    Er beriet sich mit Tom Wiener. Der sagte: Da ändern Sie nix mehr dran. So lernfähig der Oskar sonst ist, er wird immer ›der Durcheinander‹ sagen und ›der Gehalt‹, wenn er Kohle meint. Das steckt in ihm drin. Aber wir können ihm ja empfehlen, sich nördlich der Mainlinie an Ihre Texte zu halten, damit die Leute ihn besser verstehen. Hier bei uns soll er reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
    Sie versuchten es und waren besten Willens, alle drei. Im Flugzeug nach Hamburg, Lübeck, Köln oder Düsseldorf arbeitete Specht das Manuskript mit der Akribie eines folgsamen Schülers durch, setzte Atempausen, kennzeichnete Satzzusammenhänge, markierte Betonungen. Stand er dann aber vor dem Auditorium und begann den Text abzulesen, stockend, unglücklich, vor Ungeduld sich verhaspelnd, befreiendes Beifallklatschen herbeisehnend, war sein Elend mit Händen zu greifen.
    Nein, es ging nicht. Er irrte durch die bildungsbürgerliche Welt, die nicht die seine war, wie ein herausgeputzter Konfirmand, dem der Anzug zu kurz und der Hemdkragen zu eng ist. Irgendwann explodierte er. Stieg aus der wohlgesetzten Rede aus, die alles enthielt, was er sagen wollte, nur nicht sein Ich, geriet ins Erzählen, fabulierte, machte Witze, gestikulierte, verlor den Faden, kam vom Hundertsten ins Tausendste, provozierte, widersprach sich, verknüpfte in einem Atemzug den Dorfbrunnen und die Vereinten Nationen, erntete zustimmendes Gelächter und triumphierte am Ende über alle Fesseln, die Konvention und Logik ihm hatten anlegen wollen. Er redete die Welt bunt und schillernd wie eine Seifenblase. Entzündete ein riesiges, chaotisches Wortfeuerwerk, nach dessen letzter Kaskade der Beifall knallfroschartig losprasselte. Selbst jene, die es in der Sache besser wußten, waren so begeistert, daß sie sich ihres Besserwissens schämten.
    Sie haben, sagte einmal ein dröger Hamburger Reeder erschüttert, das Thema zwar verfehlt, – aber das auf eine ganz ss-taunenswerte Weise!
    Der Mann wußte nicht, wie recht er hatte. Specht war immer dann am besten, wenn er im unerschütterlichen Glauben, der einzig Sehende unter lauter Blinden zu sein, danebenlag. Ihn reizte der Weg, kaum je das Ziel. Ergebnisse waren Endpunkte. Dahinter drohte Stillstand.
    Stillstand? Alles, nur das nicht! Lieber wollte Oskar Specht gar nicht ankommen.
    Bildungswege
    Die Untersuchung ergab es zweifelsfrei: Heike war schwanger. Zum traditionellen Christbaumschmücken war sie schon als werdende Mutter angereist, freilich ohne es zu wissen. Vielleicht ahnte sie etwas; fühlte, daß das Ausbleiben der Regel diesmal mehr bedeutete als eine Unsicherheit, für die der Bürostreß oder eine hormonelle Störung verantwortlich zu machen war. Falls sie einen Verdacht hatte, behielt sie ihn jedenfalls für sich.
    Gundelach war ganz ahnungslos. Vatergefühle hatte er nicht mal im Traum. Er konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Und weil seine Frau die Pille nahm, gab es ja auch keine Veranlassung dazu. Allerdings vertrug sie die kleinen rosa Biester, wie sie den stanniolverpackten gynäkologischen Morgenappell nannte, schlecht. Immer mal wieder Krämpfe, schmerzende Beinvenen und die unterschwellige Angst vor Thrombosen.
    Ich nehm sie, obwohl ich die Dinger nicht mag, hatte Heike gesagt. Aber ich garantiere nicht dafür, daß ich’s nicht auch mal vergesse.
    Klar doch, hatte Bernhard geantwortet. Und im stillen gedacht: Frauen brauchen immer ein Schlupfloch, eine Rückversicherung. Passieren, im Ernst, konnte nichts. Heike war die Zuverlässigkeit in Person, als Sekretärin und überhaupt. Sollte er jeden Morgen im Bad nachprüfen, ob der Wochentag mit dem Östrogenkalender übereinstimmte? Albern.
    An Weihnachten war Kinderkriegen also noch kein Thema. ›Ihr Kinderlein kommet‹ konnte man, von der Mutter am Klavier begleitet, ganz unbefangen singen. Heike vielleicht ein bißchen weniger unbefangen. Aber sie sang mit, exakt und hell, und auch die mütterliche Tante, die

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