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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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erläutert. War mit dem reichsten Industriellen Schwedens, Peter Wallenberg, per Du und vom Sonnenaufgang in der Bucht von Rio, den er auf der Yacht des Mercedes do Brasil-Chefs erlebt hatte, so schwärmerisch begeistert, wie man es seinem nüchternen Naturell kaum zugetraut hätte. Er kannte die schönsten Plätze und die teuersten Hotels in Acapulco, Manila und Macao. Und erzählte davon nicht wie ein Tourist, dem die Kamera vorm Bauch baumelt, sondern wie ein Weltbürger, dem exklusive Erlebnisse nur so zufliegen.
    Das war umwerfend neu und eröffnete Perspektiven, an die zu Breisingers Zeiten nicht im Traum zu denken gewesen wäre. Für dessen behäbigen, umständlichen Staatstourismus, der es eben mal bis nach Peking und Luxor gebracht hatte, erübrigte Specht nur nachsichtigen Spott. Die Erde war ein Dorf und die Unternehmer wußten das längst, nur die Politiker kapierten es noch nicht.
    Der neue Ministerpräsident, so schien es, hatte ein anderes Zeitgefühl als normale Menschen. Er lebte schneller, sprach und dachte schneller als sie. Jeden Tag bepackte er wie einen Lastesel mit Stundensäcken, deren Inhalt sich nicht gleichen durfte, um ihn nicht tödlich zu langweilen. Er durchzischte die Zeit wie ein Komet. Schon nach wenigen Wochen sprach Meppens, sein parlamentarische Gegenspieler, ironisch und doch auch bewundernd davon, daß es Specht mit der Fähigkeit zur Allgegenwart weiter gebracht hätte als sonst ein menschliches Wesen vor ihm. Specht hörte es gern, die CDU-Fraktion war stolz auf ihn.
    Gundelach fand, daß sich Abstoßendes und Anziehendes in Oskar Spechts Charakter einigermaßen die Waage hielt. Gewiß: Die Wutausbrüche, deren komplexhafter Ursprung bei näherer Betrachtung niemandem verborgen bleiben konnte, waren peinlich genug. Specht wollte sich einfach über den belehrenden Ton eines Ministerialrats aufregen, um ihn mit schneidender Arroganz in Schranken weisen zu können, die er, der Nichtakademiker, setzte. Er wollte alle Vorlagen, die den Haushalt, den Wohnungsbau oder die Wirtschaftspolitik betrafen, ›Scheiße‹ finden, um die Ahnungslosigkeit von Verwaltungsjuristen im Vergleich zu ihm, dem Praktiker, beispielhaft vorführen zu können. Er hatte schließlich den Umgang mit Geschäften und Bilanzen von der Pike auf gelernt, ihm hatte kein vermögender Vater den Weg zum Staatsexamen geebnet. Stufe für Stufe hatte er seinen Aufstieg durch Leistung und Risikobereitschaft erkämpfen müssen. Über das Ghetto des öffentlichen Dienstes, aus dem er als Inspektor frühzeitig ausgebrochen war, mokierte er sich, damit Tausende schläfriger Bürokraten ein für allemal den Unterschied zwischen Lebensschiedsrichtern und Lebensstürmern begriffen.
    Dieses komplexbefrachtete Wollen gierte nach täglicher Erfüllung. Doch weil es mit einer gewissen Naivität den autobiografischen Hintergrund offenlegte, ließ es sich ausrechnen und ertragen.
    Spechts Freigiebigkeit dagegen, sein Verlangen, Momente des Behagens bis an die Grenze zum Verschwenderischen mit anderen zu teilen, kam unvermutet. Der Vorzug, daran teilhaben zu dürfen, war eine Auszeichnung, die in der Erinnerung lange haften blieb.
    Gundelach beobachtete Licht und Schatten im Erscheinungsbild seines neuen Meisters genau. Sogar Notizen machte er sich darüber und nannte sie, in einer Anwandlung psychologischen Forscherdrangs, ›Annäherungen an einen unfertigen Charakter‹. Daß diese Etikettierung womöglich auf ihn selbst ebenso wie auf das Objekt seiner Analyse zutraf, wurde ihm erst beim Schreiben bewußt. Oskar Specht und er besaßen zwar Temperamente, deren Gegensätzlichkeit sich krasser kaum denken ließ: hier der Schreiber, dort der Redner; der kleine Wortwelt- neben dem großen Häuserbauer. Aber jeder entdeckte beim anderen auch das, was ihm fehlte. Aus der Symbiose entstanden Ideen, Texte und Programme, die Tom Wiener, kaum daß sie geboren waren, bis in den letzten Winkel des Landes vermarktete.
    Das ging mal gut und mal schief, doch immer war es unterhaltsam. Gundelach schrieb eine lange Monographie über Ethik und Politik, weil Specht die von Meppens und anderen Sozialdemokraten entfachte Grundwertediskussion nicht ohne eigene Namensnennung an sich vorbeiziehen lassen wollte. Von Thomas Hobbes bis Max Weber marschierten die Heroen politischen Denkens auf wie eine Dankprozession, an deren Spitze Oskar Specht das Weihrauchfaß tiefgründiger Erkenntnisse schwenkte. Während Gundelach noch schrieb und sich ein besonderes

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