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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Vergnügen daraus machte, auch Sozialdemokraten wie Friedrich Ebert, Johano Strasser und sogar Meppens psalmodierend mitmarschieren zu lassen, beteiligte sich Specht bei einem Volksfest am Kirschkernspucken und belegte einen achtbaren vorderen Platz. Danach bastelte man auf Wieners Geheiß eine Presseerklärung, in der Specht unter Verweis auf seine grundlegenden (und im Sonderdruck erhältlichen) Ausführungen vor reinen Gesinnungspolitikern warnte, die beispielsweise den Ausstieg aus der Kernenergie propagierten, ohne die ernsten Folgen ihres Tuns zu bedenken. Zu aller Freude fühlte Meppens sich angesprochen und versuchte scharfsinnig, den scheinbaren Widerspruch zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik auf höherer Ebene zusammenzuführen.
    Doch da war man längst bei einem anderen Thema.
    Das Jahr verging wie im Flug. Die Bürgernähe-Aktion fand in der Bevölkerung großen Anklang, und Wieners Aufruf, jeder solle dem Anfaß-Ministerpräsidenten seine Sorgen und Nöte mitteilen, wurde so zahlreich befolgt, daß das Ministerium Sonderschichten einlegen mußte. Zum Vorsitzenden jener Kommission, die alle Gesetze und Verordnungen auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen hatte, bestellte Specht Staatssekretär Müller-Prellwitz. Der krempelte die Ärmel hoch und legte schon am Jahresende eine umfangreiche Streichungsliste vor.
    Specht begleitete seine Arbeit eine Weile mit Enthusiasmus. Bald aber verlor er die Lust an ihr. Für große Schlagzeilen taugte das Thema nicht mehr, und im Detail war’s ein elender ›Bürokratenscheiß‹.
    Um so heftiger zog es ihn nach Bonn. Daß ihn der Bundeskanzler bei ihrer ersten Begegnung nicht erkannt und mit den Worten: Ich gebe jetzt keine Autogramme! abgewimmelt hatte, erzählte er zwar aufgekratzt jedem Journalistenkränzchen. Aber es wurmte ihn doch mächtig.
    Bis er die Popularität seines Vorgängers erreicht haben würde, war noch ein langer Weg zurückzulegen. Nur vierzig Prozent konnten mit seinem Namen überhaupt etwas anfangen. Das besagte die erste Umfrage des von Tom Wiener beauftragten Instituts. Über Spechts Vorzüge herrschte achselzuckende Ratlosigkeit. Jung war er, der neue Ministerpräsident, und wohl ziemlich umtriebig. Das war aber auch alles.
    Du mußt ins Fernsehen, sagte Wiener. Bundesweit. Eine Meldung mit deinem Bild in der Tagesschau ist mehr wert als alles Geschreibsel zusammen.
    Klugscheißer, antwortete Specht gereizt, das weiß ich selbst. Warum, meinst du, knie ich mich so in die Steuerdiskussion rein? Aber ich werd noch verrückt in dem Laden hier. Bis ich eine vernünftige Unterlage für die steuerliche Tarifkorrektur und den wirtschafts- und familienpolitischen Entlastungsteil bekomme, ist Weihnachten. Die begreifen überhaupt nicht, um was es mir geht, daß ich an Strukturfragen ran will. Die reagieren immer bloß auf das, was der Bund vorgibt. Zum Kotzen ist das! Aber ich nimm das nicht mehr lange hin! Sowie ich Luft hab, geh ich hier an die Umorganisation. Mach dir auch schon mal Gedanken. – Übrigens, der Müller-Prellwitz gefällt mir immer besser. Der Junge geht ran. Und kann politisch denken. Sein Vorschlag, auch das Thema Steuervereinfachung anzupacken und etwas für die Vereine zu tun, ist gut. Sowas fällt unseren in alle Ewigkeit nicht ein. Ich nimm das nicht mehr hin … Der Satz gehörte mittlerweile zu Oskar Spechts Standardrepertoire, und niemand, in dessen Gegenwart er fiel, getraute sich, auch nur mit den Brauen zu zucken. Der Diskant, zu dem sich dieses ›Ich nimm‹ emporschraubte, signalisierte jedesmal Gefahr.
    Gundelach, der sich für den Bereich Sprachpflege zuständig fühlte (schließlich galt er als der einzige, dessen Schreibstil von Specht akzeptiert wurde), versuchte eine Weile, durch häufigen Verweis auf Positionen des Bundes, die ›nicht mehr hinzunehmen‹ seien, Spechts grammatikalisches Empfinden zu aktivieren. Außerhalb des Landes, im Norden vor allem, reagierte man auf mißhandelte Komparative und Sätze wie: Das müssen wir denen lernen! mit erschrockenem Augenspiel, als hätte sich etwas Ungebührliches zugetragen. Dennoch zeigten gerade die traditionsreichen Zusammenschlüsse der Hansestädte, die Kaufmannsgilden und Außenhandelskammern, der Überseeclub und die Atlantikbrücke ein hohes Interesse an dem quirligen Mann aus dem Süden, dessen wirtschaftlicher Sachverstand Aufsehen erregte. Außer Franz Josef Strauß hatte die Union insoweit ja, leider Gottes, nicht viel zu bieten. Und nun kam

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