Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
die Kälte wehrten. Zufrieden, dass die Ketten richtig auf dem Reifen saßen, schritt sie zum letzten Rad und legte auch dort die Kette fachgerecht an, ehe sie wieder in den Transporter stieg.
Es mochte übervorsichtig sein, aber sie war nicht bereit, nur mit Winterreifen ein Risiko auf der Straße einzugehen, die den Berg hinaufführte. Sie war kurz hinter St. Girons schon an einigen liegengebliebenen Autos vorbeigefahren. Eins hatte gefährlich über dem steilen Flussufer gehangen. Eine tiefe Bremsspur hatte zu der Stelle geführt und noch tiefere eilige Fußspuren davon weg.
Stephanie starrte durch die Windschutzscheibe auf eine weiße Wand – vorbei an den Scheibenwischern, die erfolglos gegen die permanent fallenden Flocken ankämpften.
Schnee. Mehr, als sie jemals in ihrer Zeit hier zu Gesicht bekommen hatte. Und es schneite weiter. Ihre Fußspuren von vorhin waren bereits fast schon wieder unter einer frischen Decke verschwunden. Chloé würde begeistert sein – ganz besonders, da die weiße Pracht pünktlich zum Wochenende gefallen war.
Der Gedanke brachte Stephanie zum Lächeln, während sie den Wagen vorsichtig aus der Haltebucht in Richtung des Kreisverkehrs bei Kerkabanac steuerte, wo sich die Straße teilte. Jetzt hatte sie es nicht mehr weit. Sie verspürte wie immer ein kleines Flattern der Vorfreude in ihrem Bauch, als sie sich vom Tal auf den Nachhauseweg den Berg hinauf machte.
Nach Hause! Schon der Gedanke ließ sie laut auflachen.
Sie, die Frau mit dem Zigeunerblut, von der ihr Exmann einmal behauptet hatte, man müsse ihr die Füße auf dem Küchenboden festnageln, um ihre Wanderlust zu bändigen, hatte endlich einen Ort gefunden, an dem sie länger als eine Woche bleiben wollte. Und das ausgerechnet in Picarets. Das hatte sie nicht kommen sehen, als gewisse Umstände sie zwangen, mit ihrer zweijährigen Tochter im Schlepptau zu fliehen. Sie waren auf der Suche nach einem Unterschlupf gewesen und hatten eine Zuflucht gefunden.
Aber es war nicht leicht, in der Gegend Arbeit zu finden. Sie waren mit einem kleinen Koffer und einem Kofferraum voller Gartengeräte angekommen, und seither hatte Stephanie versucht, sich mehr schlecht als recht durchzuschlagen, im Sommer Saisonarbeit verrichtet und sich im Winter mit Kindergeld und einem gelegentlichen Yogakurs über Wasser gehalten. Aber das reichte nicht aus. Bald schon würde Chloé die Schule in Seix besuchen und demnächst vielleicht die Universität, und Stephanie war entschlossen, ihr diese Chancen zu bieten.
Aber dafür benötigte sie Geld.
Daher hatte sie auf dem ganzen Rückweg von Toulouse gerechnet und hin und her überlegt. Mit dem Job in der Auberge könnte sie beginnen, ein wenig Geld beiseitezulegen, und sich in ihrer Freizeit auf ihr Bio-Gartencenter konzentrieren. Sie wollte ganz klein anfangen, mit einigen Fahrten zu den hiesigen Märkten im Frühjahr und im Herbst, und sich über die nächsten Jahre einen Kundenstamm aufbauen, bis sie so weit war, das Center zu eröffnen.
Sie wusste sogar schon, wo sie es errichten wollte. Nicht weit hinter der Épicerie in La Rivière befand sich ein Stück Brachland direkt am Flussufer. Es war arg verwildert mit etlichen Bäumen, die gefällt werden mussten, aber es hatte die richtige Größe und befand sich neben dem Gemeinschaftsparkplatz, was ihren Kunden Parkmöglichkeiten bieten würde. Sie hatte sich beim Bureau du Cadastre erkundigt und zu ihrer großen Freude erfahren, dass das Grundstück Josette gehörte. Stephanie war sich sicher, dass sie es ihr zu einem vernünftigen Preis verpachten würde.
Es war der Beginn von etwas Großem, davon war Stephanie überzeugt, und sie konnte es kaum erwarten, Chloé von ihren Plänen zu erzählen. Aber zuerst einmal musste sie den Rest der Fahrt unbeschadet überstehen.
In niedrigem Gang fuhr sie den Transporter ganz langsam die Straße hinauf, die an den Stellen, wo vorbeifahrende Einheimische umgestürzte Bäume so weit beschnitten hatten, dass gerade mal ein Wagen durchkam, nur noch einspurig befahrbar war. Niemand wollte bei diesem Wetter längere Zeit draußen verweilen, und es bestand die Gefahr, dass jeden Augenblick weitere Bäume umstürzen konnten. Sie bereute es, dass sie vor ihrer Abfahrt nach Toulouse nicht auch ihre Kettensäge hinten in den Wagen gepackt hatte. Dann wäre ihr nun ein wenig behaglicher zumute gewesen.
Ihre Anspannung wuchs, als die Bedingungen immer schlechter wurden, und jeglicher Gedanke an die Zukunft war
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