Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
Weißglut. Lorna konnte sich sehr gut den Frust vorstellen, den irgendein armer Kerl in Paris empfinden musste, der versuchte, einem Ausländer ein Faxgerät zu verkaufen, und von diesem stattdessen in gebrochenem Französisch unablässig gefragt wurde, ob er ein Zimmer buchen wolle. Sie konnte es ihm nicht verdenken, wenn er auflegte.
»Es kann nur leichter werden«, sagte sie beruhigend, als sich Paul wieder neben sie an den Tisch im Speiseraum setzte, wo sie mit den Geschäftsbüchern beschäftigt waren.
»Aber nicht mit diesem Kram!« Paul schob die Kontoauszüge und Rechnungen von sich weg. Sie hatten den ganzen Nachmittag an ihren Finanzen gearbeitet, ohne dass etwas dabei herausgekommen war. Nur eines war gewiss: Sie standen gefährlich nah am Abgrund.
Als neue Besitzer hatten sie die Auberge bei der Chambre de Commerce eintragen lassen und wurden nun gebeten, die astronomisch hohen Sozialabgaben zu zahlen, die bei allen Kleinunternehmen in Frankreich erhoben wurden. Für das erste Vierteljahr mussten sie bis Ende Januar beinahe tausend Euro auftreiben, und das, bevor sie mit ihrem Geschäft überhaupt richtig etwas erwirtschaftet hatten. Dazu kamen noch die Rechnungen für den Steuerberater, die Versicherung, das Heizöl und die Lebensmittel, die sie für die Silvesterfeier im Restaurant bestellt hatten. Aufgrund der bisherigen Buchungen würden sie es gerade so bis Februarschaffen, ohne das Geld auf ihrem Konto in England anrühren zu müssen. Was auch gut war angesichts des immer schwächer werdenden Pfunds im Vergleich zum Euro, denn dies hatte dazu geführt, dass ihr Polster von achttausend Pfund längst nicht mehr so prall war wie bei ihrer Ankunft.
Einen noch größeren Rückschlag hatten sie einstecken müssen, als die Angebote der Handwerker für die Reparatur des Daches vorlagen. Das billigste lag bei dreißigtausend Euro, weit mehr, als sie erwartet hatten. Wer hatte noch gleich behauptet, dass Frankreich billig war?
Paul sammelte die Papiere ein, die auf dem Tisch verstreut lagen, und verfrachtete sie zurück in die Mappe. Das neue Dach musste warten, bis sie genug verdient hatten, um es entweder komplett bezahlen zu können oder um einen Kredit aufzunehmen. Was den Heizkessel und den Öltank betraf, so war das noch Zukunftsmusik. Dafür war ihre finanzielle Lage einfach zu angespannt. Und zu alldem kam noch das Gerede von einer Rezession.
»War das die Post?«, fragte Lorna, die einen Wagen draußen hörte.
»Ich dachte, die wäre schon durch.« Paul stand gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie ein kleiner silberner Wagen mit knirschenden Schneeketten davonfuhr, die den Schnee mit einem Muster sich schneidender Linien durchzogen. Er öffnete die Vordertür und watete durch den Schnee zum Briefkasten. Seine Finger zitterten vor Kälte, als er den Schlüssel hineinsteckte. Und tatsächlich lag ein Brief darin. Ein Brief ohne Briefmarke.
Nachdem er den größten Teil des Schnees abgeschüttelt hatte, kehrte er wieder in die Auberge zurück und riss den Umschlag auf, während Lorna damit beschäftigt war, den Rest ihrer Unterlagen wegzuräumen.
Es war schon wieder ein Schreiben aus dem Rathaus. Aber dieses Mal war es mehr als nur ein Brief. Sie hatten etwas beigefügt, was wie eine amtliche Urkunde aussah.
»Ich glaube, das ist der Prüfbericht.«
Lorna schaute lächelnd zu ihm hinüber. »Und? Gute Neuigkeiten?«
Aber Paul war zu sehr damit beschäftigt, das Schreiben zu überfliegen, um ihr zu antworten. Als er am Ende der Seite angekommen war, wich alle Farbe aus seinem Gesicht.
»Was ist denn los?« Lornas Stimme klang schrill vor Angst. »Brauchst du das Wörterbuch?«
»Nein … Nicht nötig. Die Sache ist absolut klar«, sagte Paul, als er den Brief auf den Tisch warf und nach der Rückenlehne des Stuhls griff, um sich daran abzustützen. »Wir haben offiziell geschlossen«, flüsterte er. »Der Bürgermeister hat uns den Laden dichtgemacht.«
Kapitel 10
Stephanie interessierte sich nicht mehr die Bohne dafür, ob sie jemals in ihrem Leben einen weiteren Yogakurs geben würde. Fünf Tage mit einem Haufen betagter Damen in Lycra, die sich furzend in den unterschiedlichsten, widernatürlichsten Yogastellungen verrenkten, hatten ihr gereicht. Außerdem kam es ihr so vor, als wäre sie eine Ewigkeit von Chloé und den Bergen weg gewesen.
Sie zog noch einmal kräftig, spannte die Schneeketten und spürte dabei die Muskeln in ihrem Rücken, die sich gegen die Anstrengung und
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