Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
durch die Windschutzscheibe nach draußen spähte, konnte sie verschwommen einzelne Parkplätze und eine kleine Lichtung erkennen, auf der so etwas wie eine große Anschlagtafel, umgeben von Picknickbänken, stand. Sie fuhr erleichtert rechts ran und stieg aus, um sich die Beine zu vertreten. Mit einem Mal teilte sich der Nebel, und ihr bot sich ein atemberaubender Ausblick auf die vor ihr liegenden gezackten Umrisse der Pyrenäen. Es blieb kaum genug Zeit, das alles auf sich wirken zu lassen, denn schon schlossen die Wolken sich wieder und hüllten sie in ihre stille, trübe Welt.
Sie kuschelte sich tiefer in ihre Jacke hinein und eilte zu der Anschlagtafel hinüber, darauf bedacht, so schnell wie möglich wieder im Auto zu sein. Es war ein Touristeninformationspunkt, und laut der Karte befand sie sich auf dem Gipfel des Col Dáyens, aber in welchem Zusammenhang der zu ihrem Ziel stand, das wusste sie nicht. Sie überflog die Tafel, wobei ihr Blick auf den kleinen Umriss eines Bären in der unteren, rechten Ecke fiel.
Korrektes Verhalten bei Begegnungen mit Bären.
Entgegen ihrem ersten Impuls, auf der Stelle kehrtzumachen und zum Auto zurückzukehren, las Madame Dubois weiter und spürte, wie es in ihrem Nacken zu kribbeln begann.
Falls Sie einem Bären begegnen sollten, bewahren Sie Ruhe und machen Sie das Tier durch Reden, leises Singen oder andere Geräusche auf sich aufmerksam, damit es nicht erschrickt.
Grundsätzlich gilt:
Keine ruckartigen Bewegungen.
Langsam entfernen.
NICHT WEGRENNEN .
Ein plötzliches Rascheln im dichten Wald hinter der Tafel genügte, und es war um Madame Dubois geschehen. Ihre Nerven lagen blank, sie rannte mit vor Angst weit aufgerissenen Augen so schnell, wie ihre Füße sie zu tragen vermochten, schreiend zum Wagen zurück, ohne sich auch nur im Geringsten um die Ratschläge zu kümmern, die sie gerade gelesen hatte – was ihrer Ansicht nach jeder Mensch, der halbwegs bei Verstand war, tun sollte. Sie knallte die Tür hinter sich zu und verriegelte sie zur Sicherheit auch noch.
Immer noch keuchend ob dieser unerwarteten Anstrengung griff sie nach der Karte, die in der Tasche auf der Rückseite des Beifahrersitzes steckte, und faltete sie mit zitternden Händen auseinander. Ihre Augen huschten hektisch über die knittrige Oberfläche, während sie den Col d’Ayens suchte, um endlich aus dieser primitiven Wildnis herauszukommen.
»Großer Gott!«, murmelte sie, als ihr Finger endlich auf die Stelle deutete, an der sie sich befand. Sie war mitten im Nirgendwo, hockte auf einem Berg oberhalb ihres Ziels. Die gute Neuigkeit war, dass die Straße, die nach unten führte, wenigstens auf der Karte eingezeichnet war. Sie musste nichts weiter tun, als ihr bis zum Talboden zu folgen, dann nach links abzubiegen, und schon befände sie sich auf der Hauptstraße.
Sie schaltete verärgert das überflüssige Navi aus, startete den Motor, lenkte den Wagen vorsichtig wieder zurück auf die Fahrbahn und starrte angestrengt in die dichten Nebelwolken hinaus, während sie sich einen Weg aus dem Wald hinausbahnte.
Als die Zivilisation sie wiederhatte, kleine Dörfer entlang der nun asphaltierten Straße auftauchten, war sie mit den Nerven am Ende und ganz und gar nicht in der Stimmung, eine Prüfung durchzuführen.
Direction Départementale de la Concurrence,
de la Consommation et de la Répression
des Fraudes de l’Ariège
Mme Brigitte Duboi
Paul ließ die Visitenkarte sinken und blickte die Person an, die sie ihm gerade gereicht hatte. Ein Spatz von einer Frau, ordentlich gekleidet in Rock, Blazer und strenger Bluse – alles in gedämpften Brauntönen –, dazu eine Halbmondbrilleauf der Nase. Genau so, wie man sich eine typische Regierungsbeamtin vorstellte. Das Einzige, was unpassend schien, waren die Haarsträhnen, die sich aus der Haarspange gelöst hatten, als hätte sie gerade Sport getrieben, und ihre Schuhe, die mit Dreck und Laub bedeckt waren. Einer dieser Schuhe hatte begonnen, ungeduldig auf den Boden zu klopfen, während sie vor ihm stand und über ihre Brille hinweg wütend auf das Klemmbrett starrte, das sie wie einen Schild vor der Brust hielt.
Paul verließ der Mut. Diese neuerliche Prüfung ruhte auf den Schultern dieser Frau, und er hatte bereits jetzt, nachdem er nur ihre knochige Hand geschüttelt hatte, das Gefühl, durchgefallen zu sein.
»Sind Sie so weit? Dann lassen Sie uns anfangen«, blaffte sie, und Lorna und Paul nahmen sogleich Haltung an. Sie zog
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